Ein Waffendeal läuft aus dem Ruder: Ben Wheatley huldigt dem Actionkino der Siebzigerjahre, setzt auf Schnitt, Stil, ein einziges überlanges Shootout und Stars wie Armie Hammer, Brie Larson, Cillian Murphy und Sam Riley.

Stuttgart - Zurück ins Boston der späten Siebzigerjahre geht es. Schlaghosen, Blumenhemden mit breiten Krägen, schwarze Lederjacken, Pornoschnurrbärte. Neun Männer, eine Frau, später tauchen noch zwei Scharfschützen auf. Schauplatz ist eine verlassene Lagerhalle, gedreht wurde im englischen Seebad Brighton. Wer sich nun an Walter Hills Thriller „Trespass“ (1992, deutsch: „Die Rap-Gang“) erinnert, liegt nicht ganz falsch. Ein Waffendeal soll abgewickelt werden. M16-Gewehre hat, wie es scheint, die IRA geordert, falsche Ware wird geliefert. Der vermeintlich simple Deal läuft schnell aus dem Ruder. Trotz allen coolen Gehabes liegen die Nerven blank. Ein Wort gibt das andere. Man zückt die Waffen, geht in Deckung. Der Rest ist Kugelhagel...

 

Ben Wheatley, 1972 in Billericay, Essex, geboren, ist einer der spannendsten, vielseitigsten Regisseure des zeitgenössischen Kinos. Mit Lust und spielerischer Leichtigkeit wechselt er zwischen den Filmgattungen, experimentiert in Sachen Stil und macht wüstes Genrekino, ohne sich dessen Gesetzmäßigkeiten verpflichtet zu fühlen. Mit dem prämierten Horrorkrimi „Kill List“ gelang ihm 2011 der internationale Durchbruch, die bitterbösen Komödie „Sightseers“ folgte; anschließend realisierte er in nur zwölf Tagen den psychedelischen Historienthriller „A Field in England“.

Man mag sich mit niemandem identifizieren

In Schwarzweiß hatte er da gedreht, das Werk wurde in Großbritannien zeitgleich im Kino, auf DVD und als Video on Demand gestartet. Hierzulande kennt man den Filmemacher als Kopf hinter dem futuristischen Hochhausdrama „High-Rise“. Zudem hat er die beiden ersten Episoden der achten Staffel von „Doctor Who“ in Szene gesetzt. Zu Wheatleys regelmäßigen Mitarbeitern zählt seine Ehefrau, die Autorin und Cutterin Amy Jump. „Free Fire“ ist die fünfte Kooperation der beiden, ein Actionfilm, im Grunde genommen eine einzige endlose Schießerei. „Pures Kino“ nennt das Wheatley, ein Fan von Sam Peckinpah, der etwas versuchen wollte, das „dynamisch und kinetisch ist und stark vom Schnitt lebt“.

Nur kurz ist der Film zunächst in Bewegung. Die verschieden Parteien fahren mit ihren Autos vor. Sprüche werden geklopft, Zigaretten geraucht, die Charaktere eingeführt. Unter ihnen Vernon (Sharlto Copley), der Boss der Verkäufer, der durchgeknallte, schon zu Beginn übel zugerichtete Junkie Stevo (Sam Riley), der lässige, schick gewandete Ord (Armie Hammer), der entspannte Ire Chris (Cillian Murphy) und Justine (Oscar-Preisträgerin Brie Larson), die das Geschäft eingefädelt hat. Allesamt sind sie Archetypen, keine durchgezeichneten Figuren, was zur Folge hat, dass man sich mit niemandem identifizieren mag. Wheatley hält das Publikum emotional auf Distanz.

Ein Ballett aus Blut und Blei

Wäre da nicht die hochkarätige Besetzung, könnte man sich in einer der zahllosen „direct to DVD“-Schlachtplatten wähnen, inspiriert von den frühen Werken Quentin Tarantinos und dessen Epigonen. Aber das greift zu kurz. Neben der Verneigung vor einschlägigen Klassikern wie John Carpenters „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976) und natürlich Peckinpahs „The Wild Bunch“ (1969) interessiert sich der Regisseur für den Unterschied zwischen realen Schießereien und denen, die es üblicherweise auf der Leinwand zu sehen gibt. Fast in Echtzeit entspinnt sich der Plot, die Schusswechsel gleichen einem ballistischen Polizeiprotokoll. Wie haben sich die Kombattanten verhalten, welche Entscheidungen getroffen? Welchen Plan haben sie verfolgt?

Ein Ballett aus Blut und Blei, reichlich Zeitlupeneinlagen inklusive, bekommt man als Zuschauer geboten, und wie die Beteiligen des überlangen Feuergefechts verliert man bald den Überblick. Dumpf schlagen die Geschosse ein, Querschläger zischen, Schmerzensschreie sind zu hören. Fließend, elegant bewegt sich die Kamera von Laurie Rose („Peaky Blinders“) durch den sorgsam ausgestatteten, gekonnt vermüllten Schauplatz. Schweigen mal kurz die Waffen, wenn nachgeladen wird, ist Zeit für die üblichen knackigen, humorvollen Einzeiler. „Wirklich, ich bin kein Pizza-Lieferservice. Willst du die Waffen oder willst du sie nicht?“, darf beispielsweise Vernon fragen mit einem fürchterlich synchronisierten südafrikanischem Akzent Beim Nahkampf wird derweil beklagt, dass der Gegner arg streng nach Parfüm riecht – nur um von diesem postwendend aufgeklärt zu werden, dass es sich bei dem Duft vielmehr um Bartöl handelt.

Martin Scorsese fungierte als Produzent

Versiert spult Ben Wheatley seine dünne Story ab. Look geht ihm definitiv vor Inhalt, es zählen Farbgebung, Rhythmus sowie die Montage, auf die der pulsierende Soundtrack von Geoff Barrow und Ben Salisbury („Ex Machina“) perfekt abgestimmt ist. Was der Arbeit fehlt, ist ein wenig Originalität oder die von diesem Regisseur bislang gewohnte überraschende Volte. Aber das ist vielleicht zu viel verlangt. Denn immerhin fungierte kein Geringerer als Martin Scorsese als ausführender Produzent. Er las das Skript, nickte es ab und stieg ins Projekt ein. Und der Mann weiß bekanntlich, was er tut.

Free Fire. Großbritannien, Frankreich 2016. Regie: Ben Wheatley. Mit Armie Hammer, Brie Larson, Cillian Murphy, Sam Riley, Sharlto Copley. Ab 16 Jahren. 90 Minuten.