Viele Institution wollen die Inklusion voranbringen, doch an der Zusammenarbeit mit der Behindertenbeauftragten hapert es – mitunter mit kuriosen Folgen.

Göppingen - Der gute Wille ist da – und die gesetzlichen Vorschriften sind es sowieso. Eigentlich müssen Kommunen bei ihren Neubauten darauf achten, dass diese auch von Behinderten genutzt werden können. Weil es beim Thema Barrierefreiheit viel zu beachten gibt, hat das Landratsamt seit dem vergangenen August eine Kreisbehindertenbeauftragte: Claudia Oswald-Timmler soll unter anderem sicherstellen, dass Baupläne der Kommunen auch hinsichtlich der Inklusion etwas taugen. Das Problem ist nur, dass sich das noch nicht herumgesprochen hat.

 

„Es ist noch nicht so ganz in den Köpfen angekommen, dass die Kommunen rechtlich verpflichtet sind, mich zu beteiligen“, berichtet Oswald-Timmler. So sei sie in Göppingen bisher noch zu keinem einzigen Neubauprojekt, etwa der Tiefgarage am Bahnhof oder dem neuen Verwaltungszentrum, gefragt worden. Das gelte auch für Projekte vieler anderer Kommunen im Kreis. „Wenn ich in der Zeitung lese, das etwas größeres geplant ist, rufe ich deshalb in den Rathäusern an.“ So wolle sie sich etwa demnächst an den Bad Überkinger Bürgermeister wenden, weil sie erfahren habe, das dort ein Gemeindehaus gebaut werden solle. „Aber jedem hinterherzurennen, das schaffe ich aus zeitlichen Gründen natürlich nicht.“

Blinde finden die behindertengerechte Ampel erst gar nicht

Was passieren kann, wenn die Expertin bei der Planung von Bauprojekten vergessen wird, zeigt sich nur wenige hundert Meter von ihrem Schreibtisch entfernt an der neuen Fußgängerampel vor dem Landratsamt, die Ende Januar vom Esslinger Straßenbauamt in Betrieb genommen wurde. Die Behörde ist unter anderem für Kreis- und Bundesstraßen in den Landkreisen Esslingen und Göppingen zuständig. Für 16 000 Euro hat sie auf Wunsch der Stadt Göppingen und in Absprache mit dieser die Ampel installiert.

Die Bordsteine sind ganz im Sinne der Barrierefreiheit abgesenkt, und für Sehbehinderte ist die Ampel mit einem Knopf ausgestattet, der mit einem Signalton anzeigt, wann Fußgänger die Lorcher Straße überqueren können. Dennoch könnten Blinde die Ampel schwerlich benutzen, berichtet Claudia Oswald-Timmler. „Bei der Planung ist vergessen worden, ein sogenanntes taktiles Feld als Leitsystem im Gehweg anzubringen, das Sehbehinderte mit dem Stock ertasten können“, erklärt die Expertin. Das führe dazu, dass Blinde weder die Ampel noch den Überweg ohne Hilfe finden könnten.

Die Zusammenarbeit kommt nur langsam ins Rollen

Die Stadt sieht die Schuld für dieses Versäumnis beim Straßenbauamt. Dieses wiederum verweist darauf, dass die Kommune für die Gehwege zuständig sei. Die Pläne für die Ampel seien gemacht worden, bevor man gehört habe, dass es im Kreis Göppingen neuerdings eine Behindertenbeauftragte gebe. „Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, vorab mit ihr zu sprechen“, sagt ein Mitarbeiter des Straßenbauamts.

Immerhin, in Göppingen sei sie inzwischen alle 14 Tage mit dem Hochbauamt unterwegs, um die Bestandsgebäude der Stadt, etwa die Schulen, unter die Lupe zu nehmen, erzählt Oswald-Timmler. Zudem hat der Baubürgermeister Helmut Renftle sie jetzt zur nächsten Besprechung des Baudezernats eingeladen, um sie den Referatsleitern vorzustellen. Auch zum Verwaltungszentrum am Bahnhof werde man sich noch mit ihr abstimmen, versichert der Stadtsprecher Olaf Hinrichsen. Andernorts geht es ebenfalls langsam voran. In Geislingen sei sie in Kürze zu einer Ortsbegehung eingeladen, und die Stadt Heinigen habe ihr Pläne für barrierefreie Bushaltestellen vor dem Bau zur Prüfung vorgelegt, berichtet Oswald-Timmler.

Bundesweit einzigartiges Expertennetz

Behindertenbeauftragte
: Mit dem Landesbehindertengleichstellungsgesetz (LBGG) hat Baden-Württemberg im Jahr 2015 als bundesweit einziges Land die Bestellung von kommunalen Behindertenbeauftragten in den 44 Stadt- und Landkreisen verpflichtend eingeführt. Die Bestellung kann ehrenamtlich oder hauptamtlich erfolgen. Die Behindertenbeauftragten beraten vor Ort die Behörden und dienen zugleich als Ombuds- und Anlaufstelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige.

Finanzierung
: Die Stellen werden vom Land finanziert. Insgesamt investiert es rund 2,8 Millionen Euro im Jahr für die Experten in den Landratsämtern. In der Region Stuttgart wie auch in den meisten anderen Kreisen handelt es sich um hauptamtliche Kräfte.

Kooperation
: Inwieweit die Zusammenarbeit zwischen den Behindertenbeauftragten und den Kommunen funktioniert, ist derzeit noch offen. Das LBGG sieht eine Evaluation der neuen Stellen drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vor, also im Januar 2018. Dort wird voraussichtlich auch die Zusammenarbeit zwischen den Beauftragten und den Kommunen ein Rolle spielen.