Offiziell soll die Schnellbahntrasse für Stuttgart 21 von Wendlingen nach Ulm im Jahr 2020 fertig sein – jetzt wird’s wohl 2021.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Laut einem Dossier der Deutschen Bahn (DB) wird die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm frühestens Ende 2021 fertig sein. Damit könnte auch der Bahnknoten Stuttgart 21 erst später in Betrieb gehen. Von einer erneuten Korrektur des Fertigstellungstermins um mindestens ein weiteres Jahr hat die Bahn den Projektpartnern, den Aufsichtsräten und der Öffentlichkeit aber nichts mitgeteilt. Das Dossier von Anfang März, aus dem diese Information stammt, liegt bisher unter Verschluss.

 

Nach der letzten Sitzung des Lenkungskreises, an der am 23. März die Projektpartner Bahn, Land, Stadt Stuttgart und Verband Region Stuttgart teilgenommen hatten, räumte Bahn-Technikvorstand Volker Kefer lediglich ein, dass Stuttgart 21 teurer und später fertig wird. Die Kosten für den Bau des Tiefbahnhofs lägen nun bei 4,33 Milliarden Euro. Das Gesamtprojekt werde erst im Dezember 2020 in Betrieb gehen können – ein Jahr später, als die DB noch zur Volksabstimmung versprochen hatte. Diese „harmonisierte“ Terminplanung wurde auch dem Prüfausschuss des DB-Aufsichtsrats schriftlich vorgelegt.

Ein Projektdossier der DB Netz AG, das von Anfang März 2012 datiert und der Stuttgarter Zeitung vorliegt, belegt aber zweifelsfrei, dass die Fachexperten des Staatskonzerns bei der geografisch schwierigen Trasse von Wendlingen nach Ulm auch mit viel größeren Verzögerungen rechnen. Bei der 64 Kilometer langen ICE-Strecke, deren Kosten momentan auf 2,89 Milliarden Euro beziffert werden, gibt es erhebliche Genehmigungs-, Bau- und Finanzierungsprobleme.

Genehmigungs-, Bau- und Finanzierungsprobleme

Auf Seite 3 des internen DB-Dossiers wird der Projektstand ausführlich in einer Tabelle dokumentiert. Bei allen sechs Bauabschnitten zwischen dem Albvorland und dem Bahnhof Ulm heißt es jeweils in der Spalte Inbetriebnahme: „vsl. 12.2021“. Öffentlich hatte die DB lange Zeit eine termingerechte Fertigstellung bis Ende 2019 fest versprochen. Erst in den am 16. März – also nach dem internen Dossier – erstellten DB-Unterlagen, die Technikvorstand Kefer dem Lenkungskreis und dem Prüfausschuss des Konzernaufsichtsrats vorlegte, wurde als Termin für die Inbetriebnahme erstmals „12/2020“ genannt, damit aber nur eine Verzögerung um ein Jahr eingestanden. Das interne Dossier der DB Netz von Anfang März belegt nun, dass die zuständigen Experten in Kefers Fachbereich schon Wochen vor der Sitzung des Lenkungskreises mindestens zwei Jahre Verspätung erwartet und dies auch schriftlich so fixiert haben.

Die Bahn bleibt bei ihrer bisherigen Version

Offiziell aber bleibt die Bahn bei ihrer bisherigen Version. Am Freitag nach den aktuellen Plänen zur Fertigstellung der Neubaustrecke befragt, teilte das Kommunikationsbüro in Stuttgart mit, dass „die gemeinsame Erklärung zu den Finanzierungsvereinbarungen von Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen–Ulm die zeitgleiche Realisierung beider Projekte“ vorsehe. „Wie die Bahn sich bereits geäußert hat, ist durch das vergangene Jahr mit Schlichtung, Stresstest und Volksabstimmung ein Verzug von einem Jahr entstanden. Dieser Verzug ist insbesondere beim Projekt Stuttgart 21 nicht zu kompensieren, weshalb sich die gemeinsame Inbetriebnahme von 2019 auf 2020 verschiebt“, antwortete die Bahn auf eine aktuelle Anfrage der StZ. Von einer weiteren Verzögerung ist nicht die Rede.

Auf das DB-interne Dossier angesprochen, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich am Freitagnachmittag, dass darin ein Szenario geschildert worden sei, das nur dann einträfe, wenn bestimmte Prämissen nicht oder nur teilweise erfüllt werden könnten. Dabei handele es sich um mögliche technische Schwierigkeiten, etwa beim Tunnelbau. Derzeit gehe er aber davon aus, dass im Jahr 2020 sowohl die Neubaustrecke als auch der Tiefbahnhof in Stuttgart eröffnet werden könnten: „Wir behandeln beide Projekte nur noch miteinander“, betonte Dietrich.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte auf Anfrage, er wolle den Vorgang noch nicht bewerten. In der Sitzung des Lenkungskreises der Projektpartner am 23. März habe die Bahn nicht erwähnt, dass die ICE-Strecke noch später fertig werden könnte, auch nicht auf seine ausdrückliche Nachfrage nach dem Terminplan.

Kritiker warnen seit Jahren vor Bauverzögerungen und prophezeien, dass die ICE-Strecke sogar erst 2025 in Betrieb gehen könnte. Soweit geht das Bahn-Dossier nicht. Doch im Bezug auf die Neubaustrecke ist auch explizit nicht von einem Worst-Case-Szenario die Rede, vielmehr ist nur ein einziger Projektstand beschrieben. In diesem wird geschildert, welche Probleme es schon vor dem ersten Spatenstich gibt. Beim ersten Abschnitt „PFA 2.1 ab“ (Albvorland) erwartet der Konzern demnach nun erst 2014 den Planfeststellungsbeschluss und frühestens 2015 den Baubeginn. Beim PFA 2.4 (Albabstieg) und PFA 2.5 a1 (Bahnhof Ulm) fehlen die Genehmigungen ebenfalls noch. Der Konzern hofft gleichwohl, im kommenden Jahr mit dem Bau starten zu können.

Warten auf die Planfeststellungsbeschlüsse

Auf Seite 5 des internen Dossiers hielt die DB Netz jedenfalls schon Anfang März ausdrücklich schwarz auf weiß die Veränderungen im Zeitplan schriftlich fest. Zur Begründung heißt es in holprigem Bürokratendeutsch, aber unmissverständlich: „Die Verzögerungen bei der Erteilung der Planfeststellungsbeschlüsse führt im Ergebnis zu einer Verschiebung des Baubeginns in den einzelnen Abschnitten und Verschiebung des Endtermins.“

In einem Punkt aber sind sich alle Projektpartner einig: solange die ICE-Strecke nicht fertig ist, kann auch der Bahnknoten Stuttgart nicht in Betrieb gehen.