Die Grünen sind gegen das Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21. Ob sie sich stattdessen für die ICE-Strecke nach Ulm einsetzen, ist offen.  

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Kommt nun die Schnellbahnstrecke ohne Stuttgart 21? Diese Frage stellt sich, seit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer am Wochenende in einem Interview erklärt hat, die geplante ICE-Verbindung nach Ulm könnte auch ohne das Tiefbahnhofsprojekt realisiert werden. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die Lage ist unübersichtlich.

 

Die Deutsche Bahn, das ist man gewohnt, kommentiert die Äußerungen nicht. Eine Sprecherin Ramsauers ist auskunftsfreudiger. Der Verkehrminister habe nur gesagt, was auch seine Vorgänger stets betont hätten: Man habe es mit zwei Projekten zu tun. Für die ICE-Strecke sei der Bund zuständig, für Stuttgart 21 die Bahn, das Land und die anderen Partner. Grundsätzlich sei der Verkehrsminister weiter "ein klarer Befürworter von Stuttgart 21", betont die Sprecherin. "Aber der Ball liegt in Baden-Württemberg."

Palmer zur ICE-Strecke: "Wir lehnen sie nicht ab"

Die SPD-Landtagsfraktion hat die Äußerungen Ramsauers mit einem lautstarken Zwischenruf zurückgewiesen: Alles "Unsinn", schimpfte Fraktionschef Claus Schmiedel. Spitzenkandidat Nils Schmid hat nochmals betont, dass es mit seiner Partei, deren Gremien für Stuttgart 21 sind, keinen Koalitionsvertrag ohne Volksentscheid über das Projekt geben werde.

Wie also gehen die Grünen in die Verhandlungen zu dem schwierigen Thema? Die Gewinner der Landtagswahl sind gegen den Tiefbahnhof und wollen den Kopfbahnhof erhalten. Bei der Frage, wie sie zur Schnellbahnstrecke stehen, gibt es keine klare Antwort. "Wir gehen mit Offenheit in die Gespräche, können uns zurzeit aber auf keine Position festlegen", sagt der Verkehrsexperte und Tübinger OB Boris Palmer. "Wir müssen erst wissen, was die SPD will und was die Bahn", sagt er. Und: "Dass Berlin das Junktim zwischen Strecke und Stuttgart 21 aufknüpft, hilft uns bei den Verhandlungen." Zum Thema ICE-Strecke behilft sich Palmer mit der Formulierung: "Wir lehnen sie nicht ab." Das ist der Minimalkonsens, den die Umweltpartei in der Frage erreicht.

Die Realisierung der Schnellbahnstrecke

Dabei hatten sich die Grünen lange für diese verkämpft. Im Streit über Stuttgart 21 galt die Devise: die Strecke brauchen wir, der Tiefbahnhof ist unsinnig - das eine ist notwendig, das andere ein Prestigeprojekt. Diese Position hat noch ihre Anhänger in der Partei, nicht wenige aber sehen das ganz anders, allen voran der Berliner Verkehrspolitiker Winfried Hermann. Er hat die geplante ICE-Verbindung bei der Stuttgart-21-Schlichtung wortreich infrage gestellt. Hört man sich vor den Koalitionsverhandlungen zu dem Thema bei den Grünen um, vernimmt man Sätze wie diesen: "Die Lage ist total verworren."

Dabei weiß man auch bei den Grünen, dass die Schnellbahnstrecke nur realisierbar ist, wenn der Bahnknoten Stuttgart ebenfalls ertüchtigt wird. Aber wie? Das Alternativkonzept K 21 ist in weiter Ferne, so es realisierbar wäre. Warum also nicht einfach die ICE-Gleise in Wendlingen an die bestehenden Schienen durchs Neckartal anhängen? Das hatte Boris Palmer vor Jahren vorgeschlagen. Doch das wird wohl nicht gehen. Ein Grund dafür: wegen längerer Fahrzeiten etwa von Ulm nach Stuttgart und zum Flughafen würde sich die Kosten-Nutzen-Rechnung verschlechtern. Auch als Zwischenlösung ließe sich diese Idee nicht zügig verwirklichen, selbst wenn man für den Anschluss die Pläne der Bahn aufgreifen würde, die im Rahmen von Stuttgart 21 dort eine eingleisige Güterbahnanbindung vorsieht. Für den Bereich müsste ein neues Planfeststellungsverfahren aufgerollt werden, sagen Fachleute, die derzeitigen Pläne stehen kurz vor der Genehmigung.

Für Jürgen Wurmthaler, den Direktor Infrastruktur beim Regionalverband, sind solche Planspiele "kein Thema", deren Folgen nämlich "gar nicht abschätzbar". Wurmthaler ist überzeugt, dass selbst eine Minimallösung für den Anschluss der ICE-Strecke ans Netz bei Wendlingen erhebliche Kapazitätserweiterungen der Gleisinfrastruktur in Plochingen erfordern würde. Fragt man Ivo Gönner, den SPD-Oberbürgermeister von Ulm, der für Stuttgart 21 wirbt, nach solchen Überlegungen, fällt sein Urteil kurz und bündig aus. Die geplante ICE-Verbindung sei für Ulm, aber auch für Oberschwaben und Ostwürttemberg elementar, "aber sinnvoll nur, wenn sie über den Flughafen nach Stuttgart geführt wird." Werde diese nicht bald gebaut, fürchtet Gönner, "dann freuen sich andere Bundesländer auf das Geld aus Berlin".