Der rasante Zuwachs von Kindern aus Kriegsgebieten stellt die Stadt Stuttgart und ihre Schulen vor große Herausforderungen. Gemeinsam sucht man nach neuen Betreuungskonzepten.

Stuttgart - Allein in diesem Schuljahr ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen aus Flüchtlingsgebieten von 559 im September auf 704 angewachsen. Für sie wurden in Stuttgart 72 sogenannte Vorbereitungsklassen eingerichtet, in denen sie vor allem mit dem Alltag in Deutschland und mit der deutschen Sprache vertraut gemacht werden. Nach und nach klärt sich auch, wie ihre Betreuung organisiert werden kann – und welche Probleme sie aufwirft. Denn 30 Prozent dieser Kinder kommen direkt aus dem Krieg, viele sind traumatisiert. Das erfordere neue Betreuungskonzepte, besonders geschultes Personal und mindestens eine zusätzliche Stelle im Schulverwaltungsamt, um die Umsetzung an den Schulen zu koordinieren, berichtete Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann dem Verwaltungsausschuss am Mittwoch in einer Tischvorlage.

 

„Diese Kinder reagieren extrem ängstlich auf Lärm“

„Diese Kinder reagieren extrem ängstlich auf Lärm und viele Menschen gleichzeitig und sind entweder extrem unsicher oder extrem unruhig“, so die Bürgermeisterin. Diese Kinder seien hier mit einer völlig neuen Sprache und Kultur konfrontiert und bräuchten daher „erst einmal einen überschaubaren Rahmen, um zur Ruhe zu kommen“, heißt es in dem Papier der Bürgermeisterin. Die Schulpädagogik habe dieses Problem erkannt. Konkret müssten diese Kinder zunächst in einem sehr geschützten Umfeld mit einer festen Lehrkraft als Bezugsperson unterrichtet werden. Dafür müsse ein Konzept entwickelt werden, das auch eine psychologische Stärkung dieser Kinder enthalte. Dabei, so Eisenmann, stelle sich die Frage, ob die Schule der richtige Ort dafür sei. Eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern des Staatlichen Schulamts und des Schulverwaltungsamts setze sich derzeit mit diesen Fragen auseinander.

Erst danach könnten diese Kinder nach und nach in Regelklassen integriert werden – auch in Ganztagsklassen. Durch die Änderung des Schulgesetzes erhielten Ganztagsschulen neuen Typs nun auch eine Zuweisung an Pädagogenstunden, die – anders als bisher – die Flüchtlingskinder berücksichtige. In Stuttgart seien dies die Wilhelmsschule Untertürkheim und die Schillerschule in Bad Cannstatt.

Betreuung im Schülerhaus überfordert viele Flüchtlinge

Auch das Schülerhaus-Angebot stehe den Flüchtlingskindern an zehn Standorten mit Vorbereitungsklassen zur Verfügung. Allerdings sei diese Art der Nachmittagsbetreuung im Gegensatz zur Ganztagsschule mit ihrem strukturierten Tagesablauf offener und für die Kinder unübersichtlicher. Die Träger der Schülerhäuser hätten berichtet, dass viele Flüchtlingskinder mit dieser Situation überfordert seien. Sie fühlten sich in einer Einrichtung mit bis zu 300 Kindern schnell verloren. Auch müsse noch eine Lösung gefunden werden, wie man die zeitliche Lücke zwischen dem Ende des Schulvormittags an der Vorbereitungsklasse nach der vierten Stunde und dem Start des Schülerhauses schließe, das erst um 12 Uhr öffne.

Zudem prüfe man derzeit geeignete Schulungsangebote für die Erziehungskräfte und Schulsekretärinnen im Umgang mit traumatisierten Menschen.

Schulverwaltungsamt: Wir sind eine lernende Einheit

Mit ihrem Bericht reagierte die Schulbürgermeisterin auf Anträge der Grünen und der SPD, die wegen der Bildungschancen, aber auch wegen der Betreuung für diese Kinder bei der Stadtverwaltung nachgehakt hatten. Die Mitglieder des Verwaltungsausschusses zeigten sich mit dem Ergebnis zufrieden, trotz der offenen Fragen. Eisenmann lobte die Bemühungen des Kultusministeriums bei der Umsetzung an den Schulen. Karin Korn, die Leiterin des Schulverwaltungsamts, sprach insgesamt von einer „gigantischen Aufgabe“, auch im Blick auf die räumlichen Anforderungen. Und: „Wir sind eine lernende Einheit.“