Wie das Innenleben des Neubaus der Bibliothek 21 wirklich wirkt, haben Besucher erstmals bei einem Rundgang erlebt.

Stuttgart - Noch steht sie nackt da mitten im öden Bauland des Europaviertels. Weder Schillers Räuber sind eingezogen, noch hat sich Wolfgang Schorlaus Kommissar Dengler in den Räumen umgesehen. Auch Otfried Preußlers Kleiner Wassermann ist nicht aufgetaucht. Doch das wird sich bald ändern: Nächste Woche beginnt der größte Bücherumzug in der Geschichte der Stadt - eine sächsische Firma packt die Bücher im Wilhelmspalais in Rollregale, anschließend bringen Lastwagen die Werke in ihre neue Heimat, die Bibliothek am Mailänder Platz.

 

Das Gebäude hat am Donnerstagabend erstmals in die Stadt hinausgestrahlt: Bläulich leuchtete der Würfel, über dessen Anmutung die Stuttgarter in den vergangenen Monaten kontrovers diskutiert haben. Momentan schwankt die Einschätzung zwischen Bücherknast und Büchertempel.

Auch darüber haben die Verantwortlichen bei einem Rundgang am Donnerstag gesprochen - zur Vorbesichtigung kamen unter anderem die Bibliothekschefin Ingrid Bussmann, der koreanische Architekt Eun Young Yi und Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Erstmals konnten sich die Besucher dabei einen Eindruck vom Inneren des Gebäudes machen, der dem Endzustand bei der Eröffnungsfeier am 21. Oktober nahekommt.

Das Herz

Die Benutzer können die Bibliothek künftig von vier Seiten aus betreten - die Eingänge sind nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet. Im Erdgeschoss ragen heute noch Kabel ins Nichts, wo demnächst Flachbildschirme angebracht werden. In diesem äußeren Ring des Erdgeschosses wird die Information untergebracht, Bücher können hier rund um die Uhr zurückgegeben werden, zudem wird ein kleiner Bereich als Bibliothek für Schlaflose eingerichtet.

Von diesem äußeren Ring aus erreichen die Besucher das Herz der Bibliothek. Der Raum folgt dem Grundgedanken des Architekten, der das würfelförmige Gebäude "von der Alltäglichkeit abgrenzen" wollte. Das Herz der neuen Bibliothek ist 14 mal 14Meter groß, kein einziges Möbelstück wird in seinem Inneren stehen. "Ein archaischer Raum", so Yi. "Das Herz steht für Innensicht und Entschleunigung", sagt Ingrid Bussmann. In seiner Lichtstimmung findet sich jenes Blau wieder, in dem der Baukörper nachts erstrahlt. Das Licht fällt durch eine Deckenöffnung in den Raum.

"So einen schönen Bücherknast habe ich bisher noch nie gesehen", sagte der Architekt. Rund um das Herz werden im ersten und zweiten Stock unter anderem die Kinderbücherei und die Musikbücherei untergebracht. Die Fläche der Kinderbibliothek wird künftig dreimal so groß sein wie im Wilhelmspalais - es entstehen ein Vorlesebereich und eine Technikbox, in der Kinder experimentieren können.

Die Galerie

Über dem blauen Lichtdeckel des Herz-Würfels wölbt sich ein Lesesaal vom vierten Stock des Gebäudes bis hinauf zur Dachterrasse. Wenn die Nutzer am 24.Oktober erstmals am neuen Standort Bücher ausleihen können, wird ihnen ein Bestand von 500.000 Titeln zur Verfügung stehen - sowohl Bücher als auch elektronische Medien.

Im vierten Stock können die Besucher die literarische Szene der Stadt entdecken, darüber die Belletristik und die Weltliteratur. Ohne bunte Bücherrücken wirken die Räume momentan puristisch- Weiß dominiert: auf Treppen, Regalen und Wänden. Die Galerie der Bibliothek öffnet sich trichterförmig zur Decke des Gebäudes - ein starker Kontrast zur meditativen Wirkung des nach innen gekehrten Herzens.

Die Dachterrasse

Im obersten Stock der Bibliothek können die Besucher künftig in einem Café ihren Gedanken nachhängen - oder eine Treppe weitergehen, hinauf auf die Dachterrasse der Bibliothek. Der erste Eindruck: mittendrin und doch über allem. Von hier aus blicken die Besucher nicht nur auf die Grabkapelle, den Fernsehturm und die Bankentürme, sondern in die Zukunft der Stadt: Kräne drehen sich über der Baustelle der Pariser Höfe, wo Wohnungen und Büros entstehen. Von oben sind die Straßen zu erkennen, die das Gebäude mit dem Viertel verbinden und der Verlauf der Stadtbahnlinie U12 - künftig können die Besucher die Bibliothek auch über die Haltestelle Budapester Platz erreichen.

Kosten

Stuttgart zahlt für die Bibliothek 79 Millionen Euro. Dabei bleibt es nicht: Jährlich rechnet die Stadt mit Personalausgaben in Höhe von 4,3 Millionen Euro (150 Mitarbeiter). Dazu kommen Betriebs- und Sachausgaben in Höhe von rund 1,7Millionen Euro.