Am 1. Juni wird Marika Lulay beim Stuttgarter IT-Dienstleister GFT Chefin von 5000 Mitarbeitern weltweit. Im Porträt spricht sie über die Rolle der IT in der Gesellschaft – und warum besonders Frauen das Programmierer-Image bedauerlicherweise abschreckt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Die Fragen sind unvermeidlich. Marika Lulay hat sie im Laufe ihrer Karriere immer und immer wieder beantworten müssen: Warum ist das Zukunftsfeld IT kein Frauenthema? Und warum sind auch dort so wenige Frauen ganz oben? Lulay holt in ihrem Vorzimmer am GFT-Firmensitz in Stuttgart kurz Luft, bevor sie antwortet: „Ich glaube, Frauen schreckt das Image ab, mit dem IT immer noch verbunden ist“, sagt sie. „Der Computerfreak ist im Fernsehen derjenige, der keine Freundin bekommt. Es ist der ,Nerd‘, der nie duscht und immer nur Pizza isst.“ Dabei seien auch Frauen leidenschaftliche Computerexpertinnen, die aber konkret nach dem Sinn ihrer Arbeit fragten: „Wir bauen in der IT keine Häuser, retten keine Leben. Aber wir müssen klar machen, dass man Menschen hilft, dass ohne IT Flugzeuge nicht fliegen und Krankenhäuser nicht funktionieren.“

 

Galionsfigur für die IT-Branche

Die 54-jährige bisherige Leiterin des operativen Geschäfts weiß, dass sie vom 1. Juni an als neue Chefin des Stuttgarter IT-Dienstleisters GFT-Technologies auch bei diesem Thema stärker im Blick der Öffentlichkeit stehen wird – und dass sie als Spitzen-Frau damit eine Galionsfigur ist.

Lange Jahre war der Unternehmensgründer Ulrich Dietz das Gesicht des Unternehmens. Ein profilierter Kopf, der sich gerne einmischt, etwa als Start-up-Förderer oder bei Debatten über den Innovationsstandort Baden-Württemberg. Mit weltweit 5000 Mitarbeitern in zwölf Ländern ist GFT im Bereich IT-Lösungen für die Finanzbranche eine etablierte Größe.

Sie habe sich als Frau niemals benachteiligt gefühlt, beeilt sich Lulay hinzuzufügen: „Ich fand die Arbeit in der Branche immer offener, lockerer und freier als anderswo.“ Eine Studie der IG Metall habe im Übrigen ergeben, dass die IT-Branche der einzige Bereich sei, in dem Frauen im Durchschnitt mehr verdienten als Männer. Flexible Arbeitszeiten, Heimarbeit – das sei in der IT schon lange selbstverständlich. Als sie einen Sohn bekam, blieb ihr Mann zunächst zu Hause.

Viel lieber als über die Gleichstellung am Arbeitsplatz redet sie über die Herausforderungen für die IT-Branche, allen voran die Gewinnung von Nachwuchstalenten. Das Image der Branche als Tummelplatz für weltfremde Programmierer, das Lulay unbedingt überwinden will, sei keine Geschlechterfrage: „Sie brauchen in der IT schon auch solche Typen – aber die dürfen nicht mehr als zehn Prozent der Belegschaft ausmachen.“ Es gehe vielmehr um die Frage, ob man zu permanenter Veränderung, Risiko und Ungewissheit bereit sei. Dies entscheide darüber, ob man sich in der IT-Welt zu Hause fühle: „Im Prinzip sollte auch der Hausmeister im Unternehmen so denken“. Dass es an jungen Informatikern fehlt, liege auch an den Hochschulen, die diese Aufbruchsstimmung nicht vermittelten. Studienanfänger würden nicht motiviert, sondern „herausgeprüft“, was sie auch im eigenen Umfeld erlebt habe.

Die Finanzbranche steckt in einer Revolution

Nicht nur die Branche, auch das eigene Geschäftsfeld von GFT verändert sich: Finanzdienstleistungen stecken mitten in einer Revolution. Während in Deutschland wegen der guten Bankeninfrastruktur noch vor allem Bargeld und EC-Karte genutzt werden, sind andere Länder viel weiter. Der Innovationsdruck sei groß, sagt Lulay: „Wenn sie etwas als relevant erkannt haben, kommt schon die nächste Welle.“

Beim Thema Umbrüche und Unsicherheit weiß sie, wovon sie spricht: Schließlich hat sie den ersten Internetboom und das Platzen der Blase um die Jahrtausendwende erlebt. Bevor sie 2002 in den Vorstand von GFT kam, hatte sie seit 1996 den Marktantritt des US-amerikanischen IT-Systemintegrators Cambridge Technology Partners in Deutschland geleitet. Davor arbeitete sie für das Darmstädter Unternehmen Software AG. „Es gibt wenig Routine – und das ist, was manche vielleicht erschreckt“, sagt sie. Doch das macht für Lulay genau den Reiz aus: „Man geht immer neue Wege und oft an die Grenze – das hat einen richtigen Suchtfaktor,“ sagt sie. „Ich habe nach etwas gesucht, das nicht jeder macht“, so beschreibt sie den Weg, der sie zum Informatikstudium führte.

Die in Heidelberg geborene Lulay stammt aus einfachen Verhältnissen. Zuhause gab es keinen Computer. Als Kind las sie Abenteuerromane und Geschichten von Naturwissenschaftlern, welche die Welt verändern. Eine ihrer Heldinnen war Marie Curie, die Physikerin und Nobelpreisträgerin vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Lulay ist die einzige in der Familie, die an die Universität ging. Ursprünglich hatte sie Biotechnologie studieren wollen, doch dafür reichte die Abiturnote nicht. „Geburtenstarker Jahrgang eben“, sagt sie. Die Alternative Informatik hat sie nie bereut. Sie programmiere gern und beiße sich auch gerne „mit Tunnelblick“ hartnäckig in die Probleme fest. „Ein bisschen Nerd steckt zugegebenermaßen auch in mir“, sagt sie. Lulay will aber über den Tellerrand hinausblicken. Wie kann die IT-Branche ihre Visionen so vermitteln, dass sie die Gesellschaft nicht überfordern?

Die Kultur der IT sickert in die Gesellschaft ein

Was die Öffentlichkeit als atemberaubendes Tempo empfinde, sei für die IT-Branche schon normal gewesen, als sie in den achtziger Jahren in Darmstadt ihr Informatikstudium begann. „Das mag arrogant klingen: Aber nur für die Leute draußen ist das überraschend. Um dem standhalten zu können, brauchen sie Fehlertoleranz“, sagt Lulay. Früher sei das eine Kultur der Insider gewesen – im Zuge der Digitalisierung müsse nun die gesamte Gesellschaft damit umgehen lernen. In der IT habe man schon immer aushalten müssen, dass man eine Software niemals vollständig testen könne, sondern das es darum gehe, erkannte Fehler schnell auszumerzen. Für andere Branchen, die auf Perfektion getrimmt seien, sei dies nicht leicht zu akzeptieren. Die IT-Branche dürfe aber nicht zu missionarisch auftreten, sagt Lulay: „Es braucht in den Unternehmen eine Kultur der zwei Geschwindigkeiten, wo beides seinen Platz hat.“

Wenn es darum gehe, ein Produkt zu entwickeln, zähle Tempo. Will man aber die Software beim Kunden zum Laufen bringen, gehe es um Perfektionismus: „Unsere Kunden erwarten eine maximale Testabdeckung, knallharte Performance, Dokumentation und Wiederholbarkeit. Das hat dann im Gegensatz zum Thema Entwicklung nichts mit Kreativität zu tun“. Lulay will deshalb, dass Mitarbeiter im Unternehmen in beiden Welten zurechtkommen. Sie rollieren durch verschiedene Aufgabenbereiche und wechseln eher nach Monaten als nach Jahren. Immer wieder neue Themen, immer wieder neue Qualifikationen, das sei der Rhythmus der Branche: „Wir sind bei GFT ein gereiftes Start-up.“