Die meiste Zeit des Jahres ist der Cannstatter Wasen eine staubige Brache. Wie wäre es, die Fläche zu fluten und ein neues Naherholungsgebiet zu schaffen? Machbar, meint der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag und zeigt in seinem Gastbeitrag auf, wie das gehen könnte.

Stuttgart - Innerhalb der Stadtgrenzen liegt in prominenter Lage am Neckarufer der Cannstatter Wasen, die größte Freiluft-Veranstaltungsstätte, das Festgelände der Landeshauptstadt, 35 Hektar groß, Teil des Veranstaltungsgeländes Neckarpark, des „größeren Wasens“. Dieser größere Wasen-Neckarpark liegt zwischen der Benz-Straße, dem Neckar mit der B 14 und der König-Karls-Brücke. In unmittelbarer Nähe befinden sich Stadion, die Schleyerhalle, das Werkgelände von Daimler mit Teststrecke, das Mercedes-Benz-Museum. Der kleine, eigentliche Cannstatter Wasen wird von der Mercedes-Straße, der B14 und der König-Karls-Brücke begrenzt.

 

Bereits im 19. Jahrhundert war der Wasen politische und kulturelle Bühne, Festplatz der Stadt. Am 28. September 1818 wurde das erste Cannstatter Volksfest auf dem Areal anlässlich des Geburtstags des württembergischen Königs Wilhelm I., des „Landwirts unter den Königen und Königs unter den Landwirten“, gefeiert. Hier trafen sich „alle Altwürttemberger und Neuwürttemberger, Oberschwaben, Hohenloher, Ellwanger und Reichsstädter, um als Brüder eines Stammes das Fest mit ihrem König zu begehen“. Damals war dieses Areal eine idyllische Wiese, gelegentlich vom frei fließenden, noch nicht eingedeichten Neckar überflutet - eine feuchte Flussaue ohne umgebende Bebauung, eingebettet zwischen Wiesen und Weinbergen, Teil der schwäbischen Landschaft. Geblieben ist davon der Name Wasen.

Auch militärisches Aufmarschgelände war der Wasen schon

Hier war auch der Eröffnungstag des 12. Internationalen Sozialisten-Kongresses am 18. August 1907, hier befand sich die erste Volkssportarena der Stadt (angeblich Wiege des deutschen Fußballsports), später fungierte der Wasen als militärisches Aufmarschgelände, Exerzierplatz und Flugplatz für Postflüge und gelegentlich zivilen Luftverkehr nach Konstanz und Fürth. Er war Festwiese und Standort für Zirkusgastspiele. In den 1930er Jahren plante die Stadt, ihn anstelle des Killesbergs als Ausstellungsgelände zu nutzen. 1933/1937 wurde das Stadion für sportliche Großveranstaltungen errichtet. Bis 1945 diente das Gelände den Nazis häufig auch als Kundgebungsort für Massenveranstaltungen und Aufmärsche.

Seit der Nachkriegszeit wird der eigentliche Wasen jährlich durch das zweiwöchige Cannstatter Volksfest im Oktober und das ebenfalls zweiwöchige Frühlingsfest im Mai inklusive Auf- und Abbauphase für ungefähr zwei Monate belegt. Im vorderen Teil des Geländes finden gelegentlich auch andere Veranstaltungen statt, Zirkusgastspiele etwa während der Weihnachtszeit. Daneben dient das Areal ganz banal als Parkplatz bei Großveranstaltungen.

Doch die meiste Zeit des Jahres präsentiert sich der größte Teil des Cannstatter Wasens, durch Deiche vom kanalisierten Neckar getrennt, als staubige, steinerne, unansehnliche und öde Fläche – ungenutzt und leer. Die Frage ist daher naheliegend: Können und sollen wir es uns leisten, dieses prominente, von allen Seiten einzusehende und erschlossene Areal den größten Teil des Jahres als Brache ungenutzt liegen zu lassen? Darüber haben wir uns Gedanken gemacht und machen folgenden Vorschlag: Die Stuttgarter Bevölkerung benötigt dringend ein stadtnahes Freizeit- und Naherholungsgelände. Der öde Cannstatter Wasen würde sich außerhalb der Volksfestzeiten dafür glänzend eignen. Damit würde die trostlose, meist verlassen daliegende Fläche großzügig in die Überlegungen zur Stadt am Fluss integriert werden.

Steuerbare Schleusen regeln die Fluten

Unser Vorschlag lautet, den eigentlichen Cannstatter Wasen zu fluten, indem man ihn über steuerbare Schleusen im Bereich südlich der König-Karls- und der Gaisburger-Brücke anschließt. Der Wasserexperte Michael Bauer hat uns wassertechnisch beraten, vom Vermessungsbüro Hils erhielten wir die exakten Geländehöhen (bei der König-Karls-Brücke ca. 218.70, bei der Gaisburger-Brücke und -Straße ca. 219.70 Meter) und Wasserhöhen (im Bereich des Berger Stegs ca. 219.13 Meter), die über eine Ausdehnung von 1000 bis 1500 Meter relativ gleichmäßig verlaufen. Die beschriebene Wasenfläche lässt sich folglich soweit absenken, dass eine Wasserfläche in Höhe der Neckarwasserhöhe mit einer Wassertiefe von etwa einem Meter (oder mehr) entsteht, die sowohl für sommerliche als auch winterliche Freizeitaktivitäten zur Verfügung stehen könnte. Für das Cannstatter Volks- und Frühlingsfest und andere temporäre Nutzungen kann das Wasser durch Öffnen und Schließen der Schleusen abfließen.

Die Geschwindigkeit des durchfließenden Wassers kann so gesteuert werden, dass sich keine Sedimente bilden und das Wasser durch Selbstreinigung immer sauber bleibt. Die vorhandenen technischen Infrastrukturen können beseitigt oder verschließbar gemacht, also belassen werden.

Zugleich könnte ein Flussbadeprojekt zwischen den beiden Brücken realisiert werden. Der Neckar würde zu einer rund tausend Meter langen „Badeanstalt“, zugänglich über eine Treppenanlage, über die man ins Wasser steigen oder auf der man sich sonnen und – im Winter - die Schlittschuhe anziehen kann. Der Berger Park wird auf einer Breite von 150 Metern bis zum Neckarufer erweitert und an den Neckar angeschlossen. Ein Fußweg führt dann als zweiter Berger Steg über den Fluss bis zur Mercedesstraße. Die Schifffahrts- und Schwimmaktivitäten können, wie Beispiele zeigen, durch Abgrenzungen aufeinander abgestimmt werden.

Schwimmend gewinnt man neue Einblicke

Zudem schlagen wir vor, die Landschaft beiderseits des Neckars mit ihren Hügeln und Bergen, mit ihren prägenden Bebauungen – Rosenstein, Berger Kirche, Gaisburger Kirche, Grabkapelle – und den sich zum Neckar öffnenden Seitentälern an den Fluss anzuschließen. Die wiedererweckte Vergangenheit des Cannstatter Wasens würde Teil der Zukunft werden. Fußgänger und Schwimmer gewinnen einen neuen Blick auf die Stadt, auf Bad Cannstatt, das Neckartal, die hügelige Umgebung und die schwäbische Landschaft. Es entstehen neue öffentliche Räume.

Durch die Hauptsammler auf beiden Neckarufern wird bereits heute das Einlaufen von Schmutzwasser in den Neckar verhindert. Die Sauberkeit kann zusätzlich durch einen Schwerkraftfilter erhöht werden. Der saubere Anteil des Wassers der verdolten Bäche könnte wie bei den Züricher Bächen wieder offen gelegt werden. Auf beiden Neckarufern verlaufen öffentliche Fuß- und Radwege.

Mit der Umwandlung des Cannstatter Wasens in einen Cannstatt-See und ein Neckar-Flussbad würde die 600 000-Einwohnerstadt anstelle einer öden Brache mitten in der Stadt ein Stück Natur zurückgewinnen -und damit Atmosphäre, historische Perspektiven, öffentliche Freizeitnutzung, Klimaverbesserung. Was für eine Chance, was für ein Angebot!