Die neue Koalition von Grünen und CDU in Baden-Württemberg kommt der Kanzlerin entgegen, birgt aber auch Risiken für ihre Partei.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Auch Politik ist nicht völlig humorfrei. Das zeigt ein Foto, welches im Internet kursiert. Es sind lauter Politiker darauf zu sehen, die sich scheinbar amüsieren: Otto Schily, Petra Kelly und Joschka Fischer sind darunter, Pioniere der Grünen. Im Vordergrund feixt Helmut Kohl, der noch Kanzler war, als der Schnappschuss entstand. Spaßvögel haben zwischen die Köpfe Texte einmontiert, die dem Bild einen aktuellen Bezug verleihen. „2016 machen wir die CDU in Baden-Württemberg zum Juniorpartner“, lautet ein prophetischer Satz, der Joschka Fischer zugeordnet ist. Über Kohl schwebt eine Denkblase, in der zu lesen ist: „Jetzt kommen die schon bekifft in den Bundestag.“

 

Die CDU Juniorpartner der Grünen? Bis Mitte Februar hätten das die meisten Politikexperten für eine Schnapsidee gehalten – oder für die Ausgeburt sonstigen Drogenkonsums. Am Donnerstag kommender Woche wird es Realität. Für Kohls Nachfolgerin Angela Merkel ist das keine Schreckensvision. Das neue Bündnis eröffnet ihrer CDU neue Chancen, birgt aber auch Risiken. Das lässt sich mit folgenden fünf Thesen zusammenfassen. Hauptsache regieren Macht zählt für Merkel mehr als ideologische Vorbehalte. Die Aussage des CDU-Wahlkämpfers Guido Wolf, er wolle mit den Grünen nur regieren, wenn er Ministerpräsident werden kann, entsprach nicht dem pragmatischen Denken der Kanzlerin. Sie hat Wolf nach der Wahlschlappe zwar geraten, zunächst darauf zu beharren, dass auch die CDU den Ministerpräsidenten stellen könne – aber nur aus taktischen Gründen. Berührungsängste mit den Grünen hat sie nicht. Schwarz-Grün war für sie 2013 im Bund eine verlockende Option. Fast schon normal Die neue Koalition in Baden-Württemberg ist aus Merkels Sicht kein Pilotprojekt mehr. Seit 2013 regiert ausgerechnet der konservative CDU-Mann Volker Bouffier in Hessen gemeinsam mit den Grünen. Im gleichen Jahr führte Merkel nach der Bundestagswahl intensive Gespräche mit den Grünen, um eine Koalition auf Bundesebene zu sondieren. Der Plan ist keineswegs an Merkel gescheitert. Vielleicht wäre nicht einmal CSU-Chef Horst Seehofer ein unüberwindliches Hindernis gewesen. „Damals ist das Eis geschmolzen“, sagt ein CDU-Stratege. „Wenn Merkel hören will, wie das Regieren mit den Grünen in der Praxis klappt, muss sie nicht auf Thomas Strobl warten“, so ein Strippenzieher aus der Unionsfraktion im Bundestag. „Sie kann auch Bouffier fragen.“ Mit jedem neuen Bündnis zwischen Grünen und Schwarzen wird eine Kooperation im Bund wahrscheinlicher. Wiesbaden und Stuttgart hätten für die CDU aber „überhaupt keinen Modellcharakter“, betont der konservative Christdemokrat Wolfgang Bosbach. „Wir gehen nicht in die nächste Bundestagswahl mit dem Ziel, unbedingt mit den Grünen regieren zu wollen.“ Das ist eine Mahnung an Merkels Adresse. Koalitionen auf Landesebene, so der prominente Abgeordnete, lieferten kein Anschauungsmaterial für „philosophische Betrachtungen“ mit Blick auf eine Wahlkampfstrategie. Offen für (fast) alles In Zeiten unübersichtlicher Mehrheitsverhältnisse ist die Bündnisfähigkeit in möglichst viele Richtungen von strategischem Wert. Merkel will sich möglichst viele Optionen offen halten. Tabu ist im Moment allenfalls eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei oder der AfD. Denn das oberste Wahlziel der Union war stets: Es darf keine Koalition ohne die beiden C-Parteien geben. Vor diesem Hintergrund ist die Juniorrolle der CDU in Baden-Württemberg nach Merkels Politikverständnis allenfalls ein Schönheitsfehler. Schlimmer wäre es, wenn in einem Stammland der CDU weiterhin ohne Christdemokraten regiert werden könnte. Konservativen entfremdet Parteitaktisch eröffnet Grün-Schwarz der Kanzlerin zunächst eine positive Perspektive: Nach Hessen wird nun ein weiterer konservativer CDU-Landesverband auf Modernisierungskurs gezwungen. „Jünger, bunter, weiblicher“ soll die CDU nach den Vorstellungen des Generalsekretärs Peter Tauber werden. An diesen Überschriften wird sich auch die in Baden-Württemberg mitregierende CDU orientieren müssen. Dem Landesvorsitzenden Thomas Strobl kommt das zupass. Es läuft aber dem Bemühen zuwider, frustrierte Konservative stärker an die CDU zu binden und der AfD abspenstig zu machen. Als Koalitionspartner der Grünen bleibt es der Union verwehrt, sich im Südwesten wie ein Hort der Konservativen zu gebärden. Sie würde damit in Opposition zur eigenen Regierung geraten. Das ist kein Erfolgsrezept. Das Menetekel Merkel Die Kanzlerin ist eine Schreckgestalt für alle Juniorpartner im politischen Geschäft. Sie hat erst die SPD kleinregiert, danach die FDP. Einer der Spitznamen Merkels lautet deshalb „schwarze Witwe“. So wird eine Spinnenart benannt, bei der die Weibchen nach der Paarung die kleineren Männchen auffressen. Bisher hat die CDU von diesem Effekt profitiert. In Baden-Württemberg sind die Rollen jetzt anders verteilt. Ein Trost für Thomas Strobl: Die Geschichte von der „schwarzen Witwe“ ist nur eine Legende, nicht der Regelfall.