Unter dem Schlagwort „remediate“ durchdringen sich moderne Medien gegenseitig. An der Stuttgarter Merz-Akademie ist jetzt über dieses Phänomen diskutiert worden.

Stuttgart - Der Begriff „remediate“ ist eine sprachliche Neuschöpfung, die Ende der 1990er Jahre in der Medientheorie aufkam. Markus Merz, der Rektor der Stuttgarter Merz-Akademie, definiert ihn als „Repräsentation eines Mediums in einem anderen beziehungsweise deren gegenseitige Durchdringung“. Anlass für die Definition war ein unter diesem Begriff laufendes, auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt, das die Merz-Akademie gemeinsam mit der Akademie Schloss Solitude 2009 begonnen hatte. Jetzt wurden die Ergebnisse im Rahmen eines zweitägigen Symposions unter dem Titel „Remediate – An den Rändern von Film, Netz und Archiv“ in der Merz-Akademie vorgestellt.

 

Die Verknüpfung verschiedener Medien ist kein neues Phänomen. Die Emblem-Bücher des Barocks verbanden die Medien Bild und Schrift. Neu ist, dass sich heute die technischen Voraussetzungen für solche Transformationsprozesse extrem verbessert haben. Als Folge der Digitalisierung von Schrift, Musik, Fotografie und Film werden die verschiedenen Medien problemlos kompatibel, die Bildschirmoberfläche des Computers und der virtuelle Raum des Internets verschaffen ihnen eine gemeinsame Plattform. Die Echtzeitkommunikation im Netz verwandelt das lineare Nacheinander von Erzählungen zunehmend in eine räumliche Gleichzeitigkeit von medialen Ereignissen, die beliebig neu kombiniert werden können.

Die Grenzen lösen sich auf

Damit, so eine Annahme von „Remediate“, lösen sich die Grenzen der verschiedenen Medien in hybriden Mischformen auf: Kinofilme sind als DVDs auf dem Computer abspielbar, Blockbuster übernehmen die Animationstechniken von Computerspielen, Museen gewinnen durch die Veröffentlichung ihrer Sammlungen im Internet eine Präsenz im virtuellen Raum.

Eines der „Remediate“-Projekte der Merz-Akademie mit dem anspielungsreichen Titel „Stuttgart 12“ erforscht die Grenzen zwischen Film und Internet. Über die von Google Maps übernommene Karte Stuttgarts wurde eine virtuelle Geografie der Stadt gelegt, zu den dort eingetragenen Orten können jeweils Videoclips von etwa drei Minuten Dauer aufgerufen werden. Der Benutzer kann diese Orte und die dort stattfindenden Minigeschichten zu einer Erzählung verknüpfen und sich darin wie in einem Computerspiel bewegen.

Isabelle Arvers organisiert in Frankreich Workshops mit Teenagern, in denen aus Computerspielen heraus Filme entwickelt werden. Angeregt wurde sie dazu im Jahr 2005, als Jugendliche nach den Unruhen in den Pariser Vorstädten ein Videospiel mit Spielfilmelementen kombinierten, um der offiziellen Lesart der Vorstadtkrawalle ihre Sicht gegenüberzustellen.

Der Archivar wird zum Animateur

Theoretische Konzepte der Kulturwissenschaften wie „Archiv“ und „Archäologie“ ersetzen die lineare Zeit einer Fortschrittsgeschichte durch die Verräumlichung von geschichtlichen Ereignissen, die alle gleichzeitig vorhanden sind. Das läuft auf eine überraschende Angleichung der Aktivitäten von Museen und Archiven einerseits und der Projekte von Künstlern andererseits hinaus. Museen setzen zunehmend auf eine ästhetische Inszenierung ihrer Sammlungen und bedienen sich dabei Neuer Medien wie der Computersimulation; Stadtarchive digitalisieren ihre Bestände und stellen sie ins Internet, wie Jo de Witte vom Stadtarchiv Brüssel berichtete. Der Archivar wird zum Animateur.

Auf der anderen Seite greifen Künstler auf die Datenbanken von Archiven zurück, wie die Solitude-Stipendiaten Amie Siegel und Reynold Reynolds zeigen. Siegel etwa stellt zwei Videos des Potsdamer Platzes in Berlin einander gegenüber: Das eine stammt aus einer Wochenschau kurz vor Kriegsende 1945, das andere ist vor Kurzem gedreht worden. Reynolds verfährt in seinem Filmprojekt „Die Verlorenen“ noch raffinierter: Indem er vorgibt, Bruchstücke eines Films aufgefunden zu haben, der 1933 gedreht wurde und in der Berliner Schwulenszene spielen sollte, erfindet er ein Archivmaterial, das es nie gegeben hat.