Grün-Rot tauscht die Ministerialdirektoren durch neue Spitzenbeamte aus - mit einem frischen Blick auf Themen und Abläufe.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der neue Justizminister hielt eine wahre Eloge auf den alten Amtschef. "Hervorragende Verdienste", rühmte Rainer Stickelberger (SPD), habe sich Michael Steindorfner (CDU) um die Justiz erworben. "Tag und Nacht" sei er für deren Wohlergehen im Einsatz gewesen, die bundesweite Spitzenstellung verdanke man maßgeblich ihm.

 

Nur der Anlass passte nicht so recht zu den Lobesworten. Stickelberger schickte den Spitzenbeamten, der mehr als ein Jahrzehnt seinem Vorgänger Ulrich Goll (FDP) gedient hatte, damit in den einstweiligen Ruhestand. Der 62-Jährige wirkte zwar alles andere als amtsmüde, doch für den Neustart nach dem Regierungswechsel wollte der neue Minister einen neuen Verwaltungschef. Den Job versieht künftig Bettina Limperg, bisher Vizepräsidentin des Landgerichts Stuttgart und stellvertretende Landesvorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte - einer Organisation, die sich mit Steindorfner manches Fingerhakeln geliefert hat.

Es soll ein politischer Gleichklang herrschen

Mit den Ministern gehen auch die Amtschefs - so ist es bei einem Farbwechsel der Regierung allenthalben Brauch. An der Spitze der Ressorts soll schließlich ein politischer Gleichklang herrschen. Aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte den Eindruck erweckt, dass dieser Automatismus bei Grün-Rot nicht gelte. Man werde in jedem Einzelfall prüfen, ob der Ministerialdirektor gehen müsse, kündigte er an - und nährte damit falsche Erwartungen. Fakt ist: kein einziger "MD" hat den Test bestanden, fünf Wochen nach dem Machtwechsel im Land sind sämtliche ausgetauscht.

Politisch und persönlich liegen die neuen Minister und ihre Amtschefs nun auf einer Wellenlänge. Doch das ist nicht die einzige Änderung. Bisher waren die "MDs" meist Männer und Juristen, stammten fast durchweg aus Baden-Württemberg, waren in gesetztem Alter und hatten viele Jahre in der Landesverwaltung hinter sich. Nun gibt es statt einer drei Frauen in den Spitzenjobs, das Spektrum des fachlichen Hintergrunds ist ungleich breiter geworden, die beruflichen Laufbahnen sind bunter, die Altersspanne größer und die Erfahrungen jenseits der Landesgrenzen vielfältiger. Der frische Blick auf Themen und Abläufe, hat sich schon in den ersten Wochen gezeigt, tut den teils verkrusteten Apparaten gut, in den Ministerien entwickelt sich eine ganz neue Diskussionskultur.

Intern schwärmt Kretschmann von Murawski

Nur wenige der Neuen sind so bekannt wie der Chef der Staatskanzlei, der Stuttgarter Ex-Bürgermeister Klaus-Peter Murawski. Intern schwärmt Kretschmann von ihm in den höchsten Tönen. Als Idealbesetzung gilt auch der Amtschef im Agrarressort von Alexander Bonde (Grüne), Wolfgang Reimer. Einst Berater der Landtagsfraktion, kennt der Agraringenieur sein Metier aus Theorie und Praxis als Landwirt in Hohenlohe und als Unterabteilungsleiter im Bundesministerium.

Die anderen drei Grünen-Minister holten sich "MDs" von außen. Theresia Bauer (Wissenschaft) setzt auf die westfälische Wissenschaftlerin Simone Schwanitz (43), die einst Referentin der Bundestagsfraktion und zuletzt Abteilungsleiterin im Sekretariat der Kultusministerkonferenz war. Franz Untersteller (Umwelt) holte einen alten Weggefährten vom Ökoinstitut: Helmfried Meinel (56), studierter Elektrotechniker und zuletzt viele Jahre bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Winfried Hermann (Verkehr) engagierte einen Juristen mit breiter Erfahrung: Hartmut Bäumer war schon Grünen-Fraktionschef im bayerischen Landtag und Regierungspräsident in Gießen, danach arbeitete er als Politikberater.

Für den Wirtschaftsteil ist Daniel Rousta zuständig

Ein buntes Bild bieten auch die Amtschefs der SPD-Ressorts. Das "Superministerium" von Nils Schmid leitet Wolfgang Leidig (56), bis 2009 Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd. Zuvor war der aus Ulm stammende Wirtschafts- und Verwaltungsfachmann in verschiedenen Bundes- und Landesministerien tätig, danach ging er für eine internationale Organisation nach Afrika. Für den Wirtschaftsteil ist Daniel Rousta zuständig, mit 37 Jahren der Jüngste in der "MD"-Riege. Der Jurist managte für die SPD den Wahlkampf und war Geschäftsführer des parteiinternen Netzwerks Berlin, auf das sich Schmid stützt. Zwei hochdotierte Ministerialdirektoren (Grundgehalt: 9400 Euro) in einem Haus - das ist eine (teure) Premiere, die der Minister denn auch wortreich rechtfertigte.

Das Kultusministerium von Gabriele Warminski-Leitheußer führt sogar eine ehemalige CDU-Frau. Margret Ruep war Schulamtspräsidentin in Tübingen und Stuttgart, ehe sie PH-Rektorin in Weingarten wurde. Die alte Regierungspartei verließ sie aus Ärger über deren bildungspolitischen Kurs, ein neues Parteibuch hat sie nicht. Gespannt wird nun erwartet, wie Ruep mit dem als schwierig geltenden Ressort zurechtkommt. Ihr abgelöster Vorgänger Wolfgang Fröhlich erfreute sich dort hoher Wertschätzung.

"Das Charakteristische an der Demokratie ist die Herrschaft auf Zeit"

Drei weitere SPD-Amtschefs kommen aus dem kommunalen Bereich. Im Innenministerium von Reinhold Gall amtiert nun Herbert Zinell (60), zuvor gut zwanzig Jahre lang Oberbürgermeister von Schramberg. Auch sein Kollege im Sozialressort von Katrin Altpeter entstammt einem Rathaus: Jürgen Lämmle (59) war zuletzt erster Beigeordneter in Göppingen. Den landespolitischen Betrieb kennt er aus Stationen im Innenministerium und bei der Landtags-SPD. Beim Aufbau des neuen Integrationsministeriums setzt Bilkay Öney auf einen alten Hasen: Zwanzig Jahre lang war Manfred Stehle Dezernent beim Städtetag und dessen umtriebiger Öffentlichkeitsarbeiter. Gerade noch in Sichtweite des Ruhestands, startet er nach dem Karrieresprung nun noch einmal durch.

Die abgelösten Amtschefs dürften - je nach Alter und Tatendrang - ihre Pension genießen oder neue Aufgaben suchen. Michael Steindorfner zum Beispiel will sich künftig "einer verantwortungsvollen Leitungsfunktion in einem mittelständischen Unternehmen widmen", wie er in seiner Abschiedsmail schrieb. Dem Rundbrief stellte er ein Zitat von Theodor Heuss voraus: "Das Charakteristische an der Demokratie ist die Herrschaft auf Zeit."

Personalpolitik: CDU empört sich - Ministerin widerspricht

Angriff: Als „ungeheuerlich“ hat der CDU-Fraktionschef Peter Hauk die Pläne der grün-roten Regierung verurteilt, neue Stellen für Mitarbeiter ihres Vertrauens in den Ministerien zu schaffen und deren Besoldung zu erhöhen. Die Politik des Gehörtwerdens erschöpfe sich zunächst offenbar darin, „die Karrierewünsche der eigenen Anhänger zu erfüllen“, rügte Hauk. „Kaum am Fleischtopf angekommen“, dürften sich Getreue „die Filetstücke herauspicken“. Für die Beamten und Angestellten in den Ministerien sei die Personalpolitik „ein Schlag ins Gesicht“, sagte der CDU-Fraktionschef. Es sei „erschütternd“ für sie, wie die neuen Amtsspitzen ihre politischen Weggefährten von Anfang an bevorzugten. Anlass von Hauks Kritik waren Berichte, nach denen im Kultusministerium neue Stabsstellen geschaffen und die Pressesprecher in den Ressorts deutlich besser bezahlt werden.

Verteidigung: Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) verteidigte die Schaffung neuer Stellen. Die Spitze des Ministeriums müsse dadurch erst einmal arbeitsfähig gemacht werden, nachdem die alte Regierung fast alle Leitungsstellen verschoben habe. Die neuen Posten würden später aber wieder abgebaut. Warminski-Leitheußer verteidigte die Berufung des abgewählten SPD-Abgeordneten Norbert Zeller zum Leiter einer Stabsstelle für Schulversuche. Er sei erfahren und kompetent und müsse auch angemessen vergütet werden. Für eine weitere Stabstelle zur strategischen Steuerung wolle sie eine Expertin aus der Wirtschaft verpflichten.