Das Noma in Kopenhagen ist eines der besten Restaurants der Welt. Jetzt schließt es. Sein Gründer René Redzepi will die nordische Küche noch wilder machen. Dafür verschuldet er sich immens.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

München - Etwas müde schaut er drein. Es ist ein Sonntag in München. „Das ist eigentlich mein Schlaftag“, sagt René Redzepi. Sonntags ist Ruhetag im Noma. Im Februar schließt Redzepis Restaurant in Kopenhagen an alter Stelle für immer. Wenn alles nach Plan läuft, wird der 39-Jährige Mitte des Jahres ein neues Noma in Dänemarks Hauptstadt eröffnen.

 

Redzepi ist ein Getriebener. Er weiß, wann es Zeit ist, Schluss zu machen. „Ich bin fertig. Ernsthaft. Ich wollte nur noch raus“, sagt er. „Klar, mochte ich das Restaurant noch, das Design und alles. Aber nach 13 unglaublichen Jahren ist dann auch mal gut.“ Es gibt kaum einen Koch, der erfolgreicher ist als Redzepi: Vier Mal wurde sein Restaurant zum besten der Welt gekürt. Er aber sagt: „Erfolg ist manchmal sehr einschränkend, er schafft Routinen, die kaum zu durchbrechen sind.“

Redzepi gilt als der Erfinder der neuen nordischen Küche

Um den 39-Jährigen zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen. Sie wird in dem Kinofilm „Noma“ erzählt, der am 9. Februar in die Kinos kommt. Der Regisseur Pierre Deschamps hat Redzepi und seine Crew drei Jahre lang begleitet, beobachtet, wie hart, aber auch wie schwärmerisch Redzepi in seinem Urteil sein kann. Seine Küche ist ein Labor, in dem ständig Neues versucht und wieder verworfen wird. „Wir machen winzige Babyschritte am Herd. Wir machen Fehler und wachsen langsam“, sagt der Starkoch.

Redzepi gilt als der Erfinder der neuen Nordischen Küche, die weltweit Furore machte, für die man aber eigentlich nach Skandinavien fahren muss, um sie zu probieren. Es war die Antithese zur Molekularküche von Ferran Adrià. Der Spanier setzte aus seinem spanischen Gourmettempel El Bulli einen internationalen Trend: eine Küche, in der Konsistenzen aufgelöst wurden. Redzepi machte das Gegenteil. Der Däne servierte zum Beispiel Seeigel mit frischen Haselnüssen oder Wild mit Schnecken, Kiefernsprossen und Pilzen. Ein unaufhaltsamer Siegeszug. Bis er dann 2013 mit dem schlimmsten konfrontiert wurde, was einem Gastwirt passieren kann: 63 Noma-Gäste erkrankten am Norovirus. Der Mann mit Dreitagebart ließ sich nicht unterkriegen und kochte gegen das schlechte Image an.

Essen ist eine analoge Erfahrung in einer digitalen Welt

Heutzutage sind Köche die Popstars am Herd. Sie haben Restaurantketten, TV-Serien und Redzepi jetzt sogar seinen eigenen Kinofilm. Er prophezeit seinen Kollegen eine gute Zukunft. „In 40 Jahren werden Köche die neuen Cristiano Ronaldos sein“ sagt er. Und fügt an: „Es ist sehr wichtig, dass die Köche der ersten Generation jetzt Gutes machen, damit wir nicht wie Fußballspieler mit ihren großen Autos enden.“ Woher kommt die Sehnsucht nach gutem Essen und nach neuen kulinarischen Erfahrungen? „In unserer digitalisierten Welt ist Essen eine unglaublich analoge Erfahrung. Man kann mit dem Smartphone nicht essen. Man muss hinfahren und es probieren. Es ist wie Plattensammeln. Man muss in den Laden gehen und sich die Cover ansehen“, sagt Redzepi.

Er freut sich, dass Köche heute so viel Aufmerksamkeit bekommen. „In der Gastronomie arbeiten entsetzlich viele Menschen, die schon jung einen Burn-out erleiden. Menschen, die nicht viel Geld verdienen“, sagt Redzepi. „Jeder beschwert sich darüber, dass Essen noch billiger sein sollte. Aber ist das noch fair? Was ist ein Mittelklasse-Lifestyle, den sich jeder leisten können sollte? Ein Haus in einem Vorort, zwei Kinder, ein mal Sommerurlaub, ein kleiner Winterurlaub? Wenn alle Menschen, die in Restaurants arbeiten oder auch die Produzenten, sich das leisten könnten, würden wir alle viel, viel mehr fürs Essen ausgeben. Nicht nur in den Gourmetrestaurants. Überall.“

Wenn Redzepi mehr Unternehmer als Koch wäre, würde er Noma-Filialen auf der ganzen Welt eröffnen. „Wenn mich Leute fragen, ob mir Geld wichtig ist, kann ich das bejahen. Ich würde natürlich gern mehr Geld verdienen. Wir müssen mehr Geld verdienen, wir haben nur vierzig Gäste pro Service, aber in unserem Team sind 80 Angestellte. Ich kann mich jedoch nicht beklagen. Mir geht es gut, auch wenn ich wahrscheinlich nie Millionär sein werde“, sagt der Däne mit Migrationshintergrund. Sein Vater stammt aus Mazedonien, seine Mutter aus Kopenhagen, aufgewachsen ist er in einem Arbeiterviertel am Stadtrand. Es gab frische mazedonische Gerichte, keine dänische Tiefkühlkost. Heute isst Redzepi privat am liebsten mexikanisch und japanisch. Seinem Vater schmeckt es nicht im Noma, das sei nichts für ihn, sagt der Starkoch.

Das neue Noma liegt in der autonomen Siedlung Christiana

Mit seinem neuen Noma, das zwei Kilometer vom alten entfernt in der autonomen Siedlung Christiana liegt, will Redzepi einen Schritt weitergehen. Zum Restaurant, dessen Gebäude 1500 Quadratmeter groß sein wird, gehört ein 7000-Quadratmeter-Grundstück, auf dem er Gemüse und Kräuter selbst anbauen sowie mit verschiedenem Saatgut experimentieren wird. „Wir essen in Europa alle denselben Brokkoli. Dabei gibt es noch viel mehr“, erklärt Redzepi. Das Projekt ist finanziell ein Wagnis. „Wir bekommen sehr viel Geld von der Bank und werden zwei Jahrzehnte in den Miesen sein, das ist ein großes Ding. Aber nur so kommen wir voran“, sagt er.

Im neuen Noma will er keine klassischen Menüs mehr servieren. Die Zutaten ändern sich mit der Jahreszeit: im Frühling vor allem Gemüse, im Winter Fisch, und im Herbst geht es in den Wald, in dem es Pilze und Wild gibt. Die Art der Präsentation wird komplett neu, Redzepi spricht von einem Festgelage mit ganzen Elchbeinen auf dem Tisch.

Es ist recht wahrscheinlich, dass er wieder erfolgreich sein wird. Ob er mit einem dritten Stern im Guide Michelin ausgezeichnet wird, hält er jedoch für fraglich. „Es ist einfacher Kinder zu bekommen als Michelin-Sterne“, sagt Redzepi und lacht. Er ist Vater von drei Kindern. Ihm sind Auszeichnungen aber durchaus wichtig. Vor allem die Bestenliste der 100 Restaurants, die seit 2002 im April veröffentlicht wird. „Die Liste hat die Welt der Gastronomie für immer verändert. Ohne die gäbe es mich nicht hier, gäbe es wohl keine Nordische Küche.“