Deutschland mag bei der Bildung besser werden, aber die Spitzenreiter aus Asien vergrößern den Abstand. In Mathematik verharrt hierzulande noch immer fast jeder fünfte 15-Jährige auf dem niedrigsten Leistungsniveau.

Berlin - Es sind durchwachsene Zahlen, die Andreas Schleicher, der Bildungs-Chefkoordinator der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in einer neuen Pisa-Studie präsentiert. Zwar hat sich die Lage in Deutschland seit dem Pisa-Schock vor 15 Jahren im Bildungsbereich durchaus verbessert. Aber noch immer ist fast jeder fünfte fünfzehnjährige Schüler hierzulande nicht in der Lage, im Schulfach Mathematik einfachste Aufgaben zu lösen.

 

Etwa 141 000 junge Menschen in diesem Alter erreichen von sechs Kompetenzstufen in Mathe bestenfalls die erste. Die Bildungsforscher gehen davon aus, dass mindestens die zweite Kompetenzstufe erreicht werden muss, um auf dem Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Leben eine realistische Chance zu haben. Fast 70 000 junge Schüler sind in allen drei Pisa-Vergleichsfeldern bereits nahezu hoffnungslos abgehängt, neben Mathe also auch in Naturwissenschaften sowie Lesen und Textverständnis. Sie sind kaum in der Lage, Euros in Dollar umzurechnen. Der Beipackzettel eines Medikaments ist für sie ein schwer zu lösendes Rätsel.

Mittlerweise besser als der OECD-Durchschnitt

Schleicher erkennt an, dass die Studie, in der Zahlen bis 2012 ausgewertet wurden, positive Entwicklungen erkennen lässt. Deutschland ist im OECD-Schnitt mittlerweile besser als der Durchschnitt. In Mathematik hat sich der Anteil der so genannten „Low Performer“ seit 2003 um vier Prozentpunkte auf 18 Prozent verringert. In der Disziplin Lesen sank der Anteil um acht Prozentpunkte von 22 auf 14 Prozent. In Naturwissenschaften verharrt der Anteil bei zwölf Prozent.

Aber das Erreichte könne nicht zufrieden stellen, bilanziert Schleicher. Allein schon wegen der noch immer gigantischen ökonomischen Folgen. Die OECD rechnet vor, dass in Deutschland über die Zeitspanne eines Arbeitslebens hinweg 3600 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet werden könnten, wenn die heute fast schon abgehängten 15-Jährigen wenigstens Kompetenzniveau zwei erreichen würden.

Reformeifer lässt nach

Auch wenn solche Zahlenspiele aufgrund vieler Unwägbarkeiten stets ein wenig dem Blick in eine Glaskugel gleichen, so geben einige Entwicklungen laut OECD doch zu denken. Zwar habe sich zwischen 2003 und 2009 enorm viel getan im Bildungssystem. Der Wert der frühkindlichen Bildung und die frühe Diagnostik von Lernschwächen hätten einen ganz anderen Stellenwert; Ganztagsschulen hätten sich etabliert und auch die Heranführung von Migrantenkindern ans Bildungssystem habe sich deutlich verbessert. Aber die Bereitschaft, über Verbesserungen im Bildungssystem nachzudenken, hat laut OECD in Deutschland abgenommen. Dabei seien einige elementare Missstände noch immer nicht ausgeräumt.

So lasse sich schlechtes Abschneiden in der Schule noch immer viel zu häufig sozial schwierigen Verhältnissen zuordnen. Laut Schleicher summierten sich bei vielen Schulverlierern die schlechten Ausgangsbedingungen, die vom Schulsystem zu wenig ausgeglichen würden. Wer sozial benachteiligt ist, aus ländlichen Regionen kommt, nur von einem Elternteil erzogen wird, in der Familie eine andere Sprache spricht und kaum Vorschulklassen besucht, kann laut OECD mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent jenen zugeordnet werden, die mangels Bildung kaum Zukunftschancen haben.

Andere Länder würden beweisen, dass dies kein Naturgesetz sei, sagt Schleicher. Er nennt Schanghai als Beispiel. Dort würden jene zehn Prozent der Schüler, die den schwächsten sozialen Status aufweisen, im Schnitt bessere schulische Leistungen abliefern als jene 15-Jährigen, die dem wohlhabendsten Viertel in Deutschland zuzuordnen sind. Dies ist laut Schleicher auch ein Grund dafür, dass Deutschland sich beim Bildungserfolg aus dem Mittelmaß zwar auf gute Plätze vorgearbeitet haben mag, in der gleichen Zeit aber Länder wie Shanghai „von sehr gut auf super gut“ aufstiegen. Der Abstand zu den Spitzenreitern, so Schleicher, sei nicht kleiner, sondern größer geworden.

Schwerpunkt Lehrerausbildung

Vergleiche mit asiatischen Ländern und deren oft sehr autoritärer Lernkultur mögen in Deutschland umstritten sein. Aber Schleicher weist auf einen Unterschied hin, der auch hierzulande immer mehr Beachtung findet: Die Lehrerausbildung. In Ländern wie Singapur und Schanghai würden Lehrer ein Arbeitsleben lang qualifiziert. So seien mehr als 100 Stunden Weiterbildung im Jahr Pflicht. Neue Technologien würden umgehend erprobt. Mindestens einmal in der Woche werde der Unterricht eines Lehrerkollegen analysiert. Unterrichtskonzepte würden von Lehrern in Gruppen ausgearbeitet. Ein steter Austausch von Wissen sei die Folge.

Schleicher plädiert auch dafür, Anreize zu schaffen, die besten Lehrer für die herausforderndsten Schulen zu gewinnen. Dies diene zugleich der Elite-Förderung. Studien hätten gezeigt, dass die Fokussierung auf die Schwächsten auch das Leistungsniveau der Stärksten in der Klasse anhebe. Außerdem sei es in Deutschland „immer noch zu leicht, Probleme abzuwälzen“, indem Schülern das Erreichen der nächsten Jahrgangsstufe oder der Verbleib an einer Schulform verwehrt wird. Zu guter Letzt zeige die Statistik, dass eine nicht eben neue Erkenntnis nicht an Aktualität verloren habe: dort, wo den Schulen zum Erreichen der Bildungsstandards ein hohes Maß an Autonomie beim Einsatz der Ressourcen gewährt wird, ist die Zahl der schwachen Schüler am geringsten.