Wir tilgen weitere weiße Flecken von der Stuttgarter Poplandkarte. Geboten sind, unter anderem, eine Verneigung vor den Neunzigern, eine neue Max-Rieger-Produktion sowie ein ganzes Album Mädchenmusik.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Nach einem wahren Veröffentlichungsreigen im Dezember mussten wir erstmal durchatmen. Natürlich nur um festzustellen, dass da sogar noch einige hörenswerte Musik aus Stuttgart und drumherum liegengeblieben war. Ganz frisch ist der Release der Neunziger-Jahre-verliebten VegA Musikwerkstatt reingerauscht, aber wir haben auch eine sphärische Piano-Ballade à la Lana del Rey im Programm, Gitarrenmusik im modernsten Gewand sowie ein ganzes Album mit Mädchenmusik.

 

Damit trägt auch diese Zusammenstellung dazu bei, einige weiße Flecken von der Poplandkarte zu tilgen. Reinhören wird jeweils empfohlen! 

VegA Musikwerkstatt - Album "Hope"

Vom Libelle-Kollektiv hat man in den letzten Monaten etwas weniger gehört als früher mal. Die VegA Musikwerkstatt sendet jetzt mal wieder ein Lebenszeichen - und zwar direkt von einem Planeten namenes Neunziger Jahre. Das digital und als limitierte Kassettenauflage erscheinende Album beginnt mit dem vorgeblich wolkigen Trip-Hop-Song "Nightlight", der sich  zu einer monsterbeat-stampfenden, elektronisch überhöhten Rocknummer auswächst. Darauf folgt mit kratzbassiger Trap Hop [sic!], der drückt und drängt und aus dem Synthesizer-Gewand ausbrechen will wie aus einer Gummizelle. Weiter geht es mit Big Beat, der The-Knife-artig unterkühlten Popnummer "Atom" und dem eigentlichen Schlusspunkt der Platte: "Der Weg". Dieser Song entuppt sich als Breakbeat-Nummer, die sich in "Lola rennt" gut gemacht hätte.

Verena Basler und der bei manchem Stuttgarter Release fürs Mastering zuständige Gabriel Schütz haben mit "Hope" eigentlich eine Compilation veröffentlicht, eine Sammlung von Tracks, die sich um eine gemeinsame Sound-Idee versammelt. Die Songs wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren aufgenommen. Sie bilden das Spektrum elektronischer Musik Mitte der Neunziger Jahre mit den soundtechnischen Mitteln von heute ab. Der zweite Teil des Albums besteht aus stellenweise brutalen Jungle-Nummern und Remixen und sind ein Ausflug in die Jugend der Musiker. Auch dieses Remix-Hören ist ja vor vor fünfzehn, zwanzige gemeinsam mit der CD-Maxisingle untergegangen, auf der sich einstmals oft eine ganze Handvoll Versionen ein- und desselben Songs fanden, die neben DJs vor allem den analytischen Hörer ansprachen. 

Wer mag, kann sich das auf Bandcamp anhören, er kann sich eine der 55 Kassetten kaufen und natürlich zur Release-Party am 3. März im Provisorium in Nürtingen gehen. Anschließende TripHop- und Drum'n'Bass-DJ-Sets inklusive. Was man nach dem Ende der Partyreihe "U-Turn" ja auch nicht mehr alle Tage mitmachen kann.


Meike Boltersdorf, Video "Still"

Meike Boltersdorf tauchte plötzlich als Support der Wave Pictures im Komma Esslingen auf. Sie schenkte der Welt neben diesem Konzert bislang auch einen Song. Produziert von Max Rieger, das ist ja schonmal ein guter Anfang. Google erzählt uns was von einer Ausbildung als Jazzsängerin und einer Nebenrolle im Film "Village People - Voll Porno".

Lassen wir lieber die Musik sprechen. Die hat nämlich einiges zu sagen: federleicht schwebt das Klavier durch den Raum, darüber eine schön hallig gemischte Stimme - ein zweieinhalb Minuten kurzer, hypnotischer, spannungsreicher, suchender Song, der, wie Boltersdorf selbst schreibt, "zu schön ist um nicht bemerkt zu werden". Lana del Rey lässt grüßen. Auf das für dieses Jahr angekündigte Album sind wir gespannt!


Circa.Null, EP "Wie Federn fallen"

Im Fahrwasser von Heisskalt sind in Stuttgart inzwischen mehrere Bands nachgewachsen, die den melancholisch-melodiös-vertrackten Post-Hardcore-Sound aufgreifen. Circa.Null zählen hörbar dazu. Ihre im November releasete EP ist gleich mal ein sauber produziertes, nahtlos durchschwingendes Stück zeitgenössische Gitarrenmusik. Mehrstimmiger Gesang liegt über -zigstimmigen Instrumentals, baut sich auf und flaut ab - es ist eine Freude, zuzuhören.

Circa.Null lassen es ein bisschen melodiöser und eingängiger angehen als die großen Vorbilder aus Sindelfingen/Leipzig. Was natürlich nicht heißt, dass das live kein Brett wäre. So geht jedenfalls anspruchsvolle Gitarrenmusik.

Der Elefant, EP "Der Elefant"

Die Band um Alex Scholpp (Tarja Turunen, Farmer Boys) hat hier ein Stück staubtrocken galoppierende Rockmusik vorgelegt, für die es garantiert ein Sub-Sub-Genre gibt, das uns aber gerade nicht einfällt.

Ist ja auch egal, denn Der Elefant erinnern uns daran, dass es viel zu wenige wahre Gitarrenhelden gibt, die ihre Virtuosität auch mal raushängen lassen. Die Facebookseite der Band lässt auch erahnen, dass die entsprechenden Fachmedien darauf gut anspringen.

Also, Fuzz rein und ab geht der Ritt:


Chantal Fatale, Album "Sinnlos und Schön"

Die Stuttgarter Sängerin steht immer wieder mal auf den Bühnen dieser Stadt, mal auf den größeren, mal in Wohnzimmern. File under Marie Louise beziehungsweise Roman Wreden, der hat das Album übrigens produziert. "Sinnlos und schön" ist ein wirklich guter Titel, passt auch gut zum Cover. Die Ich-mach-mir-mein-Leben-hübsch-Bewegung ist as strong as ever, und Chantal Fatale macht die Lieder dazu.

Gerade wenn man daran denkt, dass der ganz und gar nicht ironische, stellenweise etwas arg kindliche Sound zur Überzuckerung führen könnte, bricht wahlweise ein englisch- oder französischsprachiger Song die allgemeine Liedgutseligkeit. Letztlich steht das alles in einer langen Liedermachertradition. Und zumindest der Song "Die kleine Häkelschule" wird am Ende vom Gekicher gebrochen, um mit dem titelgebenden Abendlied "Sinnlos und schön" zu schließen. Wir sehen uns beim nächsten Vive-la-Vie-Festival.


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