Ein neues Regelwerk für Schienenprojekte könnte der Deutschen Bahn AG finanzielle Vorteile bringen – und dem Steuerzahler „unkalkulierbare Risiken“. Im Kern geht es um die Finanzierung, Planung und Umsetzung von mehr als 100 laufenden und künftigen Schienenprojekten im Gesamtumfang von rund 112 Milliarden Euro.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Bundesregierung hat kurz vor Ende ihrer Amtszeit das Regelwerk für die Finanzierung und Umsetzung von Schienenprojekten geändert. Die Deutsche Bahn AG (DB) könnte davon erheblich profitieren. Der Bundesrechnungshof hingegen befürchtet auf Jahre hinaus „nicht kalkulierbare Risiken“ für die Steuerzahler.

 

Der vertrauliche 28-seitige Prüfbericht der obersten Kontrollbehörde liegt dem Haushalts- und Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags und dieser Zeitung vor. Die Bonner Experten haben massive Bedenken gegen das neue Regelwerk aus dem Haus von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), an dem auch das Finanzministerium beteiligt war. Die Interessen des Bundes hätten „nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden“, warnen die Prüfer.

Mehr als 100 laufende und künftige Schienenprojekte

Der Vertrag mit der Bahn schaffe „nicht kalkulierbare Risiken für die nächsten Haushaltsjahre“, lautet das Fazit des Berichts. Die Prüfer kommen zum Ergebnis, dass der Bahn-Konzern künftig noch höhere staatliche Zuschüsse für Bauprojekte erhalten kann und die Verwendungskontrolle für den Bund noch schwieriger wird. Das Ministerium habe die Behauptung nicht belegt, dass den Steuerzahlern keine Mehrbelastung entstehe.

Die Vorgänge der letzten Monate sind bisher nicht öffentlich bekannt. Im Kern geht es um die Finanzierung, Planung und Umsetzung von mehr als 100 laufenden und künftigen Schienenprojekten, die der Bundesverkehrswegeplan 2030 vorsieht. Gesamtumfang: rund 112 Milliarden Euro. Bauherr aller Projekte ist die DB Netz AG, die das bundeseigene Bahnnetz verwaltet und dafür jedes Jahr hohe Milliardenbeträge aus der Staatskasse erhält.

Vertragsunterzeichnung mitten in der Sommerpause des Parlaments

Die mehr als 100 Neu- und Ausbauvorhaben sind in einem Bedarfsplan festgelegt. Für die Umsetzung gibt es seit 1999 eine Rahmenvereinbarung des Bundes mit der Bahn, in der die staatlichen Zuschüsse und deren Kontrolle geregelt sind. Die Vereinbarung wurde bereits mehrfach geändert, meist zu Gunsten des Konzerns. Nun hat Dobrindt das Regelwerk durch ein komplett neues Vertragswerk ersetzt: die Bedarfsplanumsetzungsvereinbarung (BUV).

Auch dieser Vertrag, der mit Anlagen rund 70 Seiten umfasst, liegt dieser Zeitung vor. Für die Netztöchter der Bahn (DB Netz AG, DB Station Service AG, DB Energie AG) haben drei Mal Konzernchef Richard Lutz unterschrieben und sein Vize Ronald Pofalla, in der letzten Legislaturperiode noch Bürochef von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Vertrag wurde am 25. Juli 2017 mitten in der parlamentarischen Sommerpause unterzeichnet.

Verkehrsministerium: Vorteile in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr

Auf den Internetseiten des Verkehrsministeriums findet man mit Mühe einen kurzen und sperrigen Artikel, der nach dortigen Angaben erst am 18. August eingestellt wurde. Darin wird die neue BUV nur positiv beschrieben. Demnach könne die DB künftig „vertiefter und detaillierter planen“, Baukosten realistischer abschätzen und so spätere Erhöhungen vermeiden. Dafür würden nun „starke Anreize“ gesetzt. Zum Beispiel durch die künftige Festsetzung verbindlicher Fertigstellungstermine, Strafzahlungen und die Beteiligung des Konzerns an den gesamten Baukosten. Unterm Strich würden Projekte schneller gebaut. Das bringe dem Staat Vorteile in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr.

Der Bundesrechnungshof kommt in seinem Prüfbericht zu ganz anderen Ergebnissen. Die Prüfer waren wie das Bundesfinanzministerium zeitweise an den langen Verhandlungen mit der DB beteiligt. Bereits im August 2016 fassten die Prüfer ihre Bedenken in einem Bericht an Dobrindt nach §88 Bundeshaushaltsordnung zusammen. „Nur in einigen Punkten“ aber sei das Ministerium danach dem Rechnungshof gefolgt.

Offen ist, ob der Haushaltsausschuss Nachbesserungen verlangt

Nur aus einem Bericht des Ministeriums an den Verkehrsausschuss des Bundestags erfuhr die Prüfbehörde zu Sommerbeginn, dass das neue Regelwerk für die DB noch vor den Wahlen unterzeichnet werden soll. Auf Nachfrage hatte das Hause Dobrindt Ende Mai mitgeteilt, die Verhandlungen liefen noch. Unter großem Zeitdruck stellte der Rechnungshof darauf den neuen Prüfbericht fertig.

Mit Datum vom 20. Juli 2017 bekamen die scharfe Kritik an Dobrindts Plänen nicht nur das Ministerium, sondern in 120-facher Ausfertigung sowohl der Haushalts- als auch der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags, die das staatliche Finanzgebahren kontrollieren sollen. Dennoch wurde das Vertragswerk fünf Tage später von der Ministeriums- und DB-Spitze unterzeichnet.

Ob der Haushaltsausschuss des Bundestags die Umsetzung noch wegen der möglichen Risiken für die Steuerzahler vorläufig stoppt und Nachbesserungen im Sinne des Rechnungshofs verlangt, ist offen. Das Gremium trifft sich nächste Woche in Berlin zur letzten Sitzung vor der Wahl.