Jetzt beginnt die spannendste Phase der Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über den Brexit. Die Finanzen sind noch nicht einmal das schwierigste Problem.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Jetzt beginnt die heiße Phase der Brexit-Verhandlungen. Sie wird vermutlich bis unmittelbar zum Gipfel der 28 Staats- und Regierungschefs der EU neun Tage später in Brüssel andauern. In dieser Zeit wird sich entscheiden, ob die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über einen geordneten Austritt des Landes aus der EU am 29. März 2019 gelingen. Sollten sie scheitern, ist ein ungeordneter Brexit sehr wahrscheinlich – mit Folgen für Jobs und Unternehmen auf beiden Seiten.

 

Den Anfang dieser entscheidenden Verhandlungsphase markiert das Mittagessen, zu dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an diesem Montag die britische Premierministerin Theresa May erwartet. Am Ende der heißen Phase muss der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, „ausreichende Fortschritte“ bei den Verhandlungen sehen. Die müssen festgestellt werden, damit die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel den Weg dafür frei machen, in die zweite Phase der Verhandlungen einzutreten, in der Brüssel und London über die Gestaltung der Übergangsphase reden wollen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Garantien für die über drei Millionen EU-Bürger

„May muss liefern“, das ist die Erwartung in Brüssel. Laut Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Abgeordneten im Europaparlament, ist eine Einigung kein Selbstläufer: „Unser Stand ist, dass es in allen Themen Bewegung gibt, aber bei keinem Thema eine Lösung.“ Lösungen müssen in dieser ersten Etappe der Verhandlungen, in der über die Konditionen der Scheidung geredet wird, auf drei Feldern gefunden werden. Am ehesten ist man sich auf dem Gebiet der Bürgerrechte einig. Es geht um Garantien für die 3,2 Millionen EU-Bürger und ihre Kinder, die in Großbritannien leben.

Der Belgier Guy Verhofstadt, der die Brexit-Steuerungsgruppe des Parlaments leitet, sieht hier aber noch „beträchtliche Probleme“, wie er in einem Brief an Barnier schreibt. Es sei etwa nicht hinzunehmen, dass Kinder von EU-Bürgern auf der Insel, die vor dem Brexit geboren werden, einen anderen rechtlichen Status haben sollen als Kinder, die nach dem Austritt auf die Welt kommen. Wenn dies nicht geändert würde, drohten Familien auseinandergerissen zu werden. Außerdem besteht das Parlament darauf, dass der Verwaltungsakt, der es EU-Bürgern erlaubt, im Land bleiben zu können, nichts kosten dürfe und in Form einer einfachen Erklärung ablaufen müsse. Bei Streitfällen dürfe kein Zweifel bestehen, dass nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig ist. Als schwierig, aber lösbar gelten die Probleme im zweiten Bereich, den Finanzen. Anfänglich hatte die britische Seite behauptet, gar nichts zahlen zu wollen. Der britische Außenminister Boris Johnson hatte gesagt, Brüssel könne sich jedwede Forderungen „abschminken“. Die EU hatte zwar offiziell nie einen Betrag genannt. Sie hatte lediglich darauf bestanden, dass Großbritannien alle finanziellen Verpflichtungen erfüllt, die das Land während der EU-Mitgliedschaft eingegangen ist. Im Raum steht eine Summe von 60 Milliarden Euro. In Trippelschritten nähert sich London dem Betrag an. Bei ihrer Rede in Florenz hatte May im September erklärt, dass London im bis 2020 laufenden EU-Haushaltsrahmen seinen Verpflichtungen nachkommen werde. Dies wurde als Bereitschaft gesehen, etwa 20 Milliarden Euro zu zahlen. Nun berichten EU-Diplomaten, dass London sich bei den Finanzfragen bewege. Als realistische Größenordnung für eine mögliche Zahlung werden nun 40 bis 45 Milliarden Euro genannt. Damit wäre ein Teil der britischen Pensionsverpflichtungen für EU-Beamte sowie der Zahlungen außerhalb des EU-Haushaltes – etwa für die Europäische Investitionsbank sowie für den Europäischen Entwicklungsfonds – abgedeckt, die Brüssel geltend macht. Wie man in Brüssel hört, wird eine Einigung nicht an den Finanzen scheitern. Schwieriger ist da schon, dass London erst eine Zahl für die Austrittsrechnung nennen will, wenn die Verhandlungen über ein künftiges Handelsabkommen begonnen haben. Dagegen wiederum sträubt sich Brüssel.

60 Milliarden Euro sind gefordert