Acht Autoren stellen die Landeshauptstadt in einem Bildband in ein unerwartet neues Licht: Kenntnisreich, aber subjektiv führen sie durch die Stadt. Der Fotograf Eberhard Rapp hat die Bilder für das Buch gemacht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Ist über Stuttgart nicht längst alles gesagt, oder vielmehr: längst alles gelobhudelt worden? Es gibt mittlerweile so viele Hochglanz-Bildbände, in denen der erste Fernsehturm der Welt, das Genie Daimlers und der Weltruf des Balletts gerühmt werden, dass der gemeine Stuttgart-Liebhaber der Hymnen schon wieder überdrüssig ist. Und doch bringt der Theiss-Verlag nun einen reich bebilderten Stuttgart-Band heraus, so dass man sich fragt: Muss das sein?

 

Nach der Lektüre gibt es darauf nur eine Antwort: Ja, unbedingt! Denn die Idee hinter dem Buch überzeugt, weil sie inhaltlich fruchtbar ist. Acht Autoren, die alle seit langer Zeit in oder um Stuttgart herum leben, schreiben über ein Stuttgarter Thema, bei dem ihnen kaum jemand das Wasser reichen kann – lokalpatriotisch-kritisches Expertentum sozusagen. Der streitbare Historiker Harald Schukraft nimmt den Leser mit auf einen Streifzug durch die Geschichte der Stadt. Marc Hirschfell von der Architektenkammer Baden-Württemberg präsentiert die schönen – und hässlichen – Gebäude Stuttgarts und scheut, als er die Architektur der Innenstadt beschreibt, vor Sätzen wie diesen nicht zurück: „Allerweltsfassaden bieten dem Auge keinen Halt, offenbaren keine Gesichter, erzählen keine Geschichten.“ Thomas Borgmann, der langjährige frühere Chef des kommunalpolitischen Teams der Stuttgarter Zeitung, erklärt das Innenleben des Rathauses. Oder Jürgen Löhle, der das Sportgeschehen in Stuttgart seit Jahrzehnten als Journalist verfolgt, klopft den Ruf Stuttgarts als Sportstadt auf seine Wahrhaftigkeit ab.

Die Autoren mögen Stuttgart, haben aber eine kritische Distanz

Hier schrieben Menschen, die Stuttgart mögen und eine Meinung haben, aber ihre kritische Distanz nicht verloren haben. Hier schreiben echte Kenner, so dass selbst Ureinwohner noch das eine oder andere neue entdecken können. Astrid Schlupp-Melchinger stellt zum Beispiel in ihrem Wirtschaftskapitel nicht nur die alten Schoten um den kauzigen Robert Bosch vor, sondern auch das weniger bekannte spannende Leben des Chemiemagnaten Gustav Siegle. Anja Wasserbäch, Redakteurin der Stuttgarter Nachrichten, hat sich in den Clubs und bei vielen Stuttgart-Bands herumgetrieben. Tim Schleider, der Leiter des StZ-Feuilletons, bescheinigt dem hiesigen Kulturpublikum Premiumklasse, wenn er schreibt: Nirgendwo sonst in Deutschland seien die „Theaterfreunde derart neugierig gerade auf kritische und ambitionierte Bühnenkunst“. Und Jürgen Löhle kommt zu einer überraschenden Bewertung der desaströsen Stuttgarter Olympia-Bewerbung im Jahr 2002: Fachlich betrachtet sei das Konzept das beste der fünf deutschen Städte gewesen; die Blamage habe die Sportstadt dennoch auf Jahre hinaus gelähmt.

Diese thematischen Kapitel kommen erzählend daher, sie wollen keine Stadtführer sein, sondern ein Lebensgefühl vermitteln. Als Nachschlagewerk taugt das Buch nicht. Dennoch haben viele Autoren das Bestreben, die Vielfalt der Stadt zu zeigen und diese Vielfalt in einen historischen und bundesweiten Kontext zu stellen: Seht her, das alles ist Stuttgart! Also wenn man da nicht stolz drauf sein kann! So muss man wohl auch das Ausrufezeichen interpretieren, das dem Buchtitel beigefügt ist.

Heinrich Steinfest tourt einen vollen Tag durch die Stadt

Garniert sind diese Tours d'Horizon mit Hunderten von Fotos von Eberhard Rapp. Und kontrastiert werden die Kapitel durch einen nun völlig subjektiven Text des österreichischen Stuttgarter Autors Heinrich Steinfest: Einen Tag lang, von 5 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts, kreuzt er mit der Stadtbahn durch Stuttgart und zeigt seine höchst eigenwilligen Perspektiven – und zwar in Worten und mit vielen Bildern, die er unterwegs mit dem iPad geschossen hat. Seine Reise beginnt in Untertürkheim, einem der Orte, „die ihren Charakter daraus beziehen, selbst bei allerblauestem Himmel ihr Grau nicht einzubüßen“. Sie endet im Café Weiß, wo Steinfest ein „Fluchachterl“ trinkt: Denn es erscheint ihm als Fluch, „in Liebe zu einer Stadt entbrannt zu sein, die manchmal diese Liebe erwidert und dann wieder ganz unnahbar bleibt, verschlossen und angezogen“.

So ist Stuttgart. Und so ist dieses Buch: eine kritische Liebeserklärung. Noch mehr mögen könnte man es nur, wenn es mit 39,90 Euro nicht so sakrisch teuer wäre.