Die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen hat einen neuen Chef: Jens Rommel war Oberstaatsanwalt in Ravensburg und ist jetzt der oberste Nazijäger Deutschlands. Klare Worte scheut er nicht.
Ludwigsburg - Die ersten Akten liegen schon auf dem Schreibtisch, daneben steht eine Vase mit Blumen. Die haben ihm die Mitarbeiter geschenkt, sagt Jens Rommel. Die Wände seines Büros sind noch nackt, auf einem grauen Schrank steht ein gerahmter Stadtplan von Ludwigsburg aus dem Jahr 1935, auf den Fensterbrettern sind einige Grünpflanzen platziert, in einem Regal ein paar Bücher, die ihm sein Vorgänger Kurt Schrimm hinterlassen hat. Seit einer Woche ist Jens Rommel in Ludwigsburg.
Unter Rommels Vorgänger Kurt Schrimm entfaltet die 1958 gegründete Zentralstelle noch einmal eine intensive Ermittlungsarbeit – die in den spektakulären Prozessen gegen die SS-Männer John Demjanjuk und Oskar Gröning mündete. Trotzdem steht die Behörde in der Kritik. Zu lange sei zu wenig unternommen worden, um weitere Täter zu finden, klagen Historiker. Zu spät werde nun gegen Greise ermittelt, während andere Nazis jahrzehntelang unbehelligt blieben. Der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger hat bekräftigt, dass die Zentralstelle weiter arbeiten soll – so lange, bis keine Hoffnung mehr bestehe, noch lebende NS-Verbrecher zur Verantwortung ziehen zu können. Ein paar Jahre also noch. Rommel weiß, dass er vermutlich der letzte Chef in Ludwigsburg ist.
Rommel ist gefragt worden, ob er sich einen Wechsel zur Zentralstelle vorstellen könne, erst danach bewarb er sich. Anders als Schrimm, der vor seiner Zeit in Ludwigsburg als Oberstaatsanwalt mit NS-Prozessen betraut war, betritt Rommel Neuland. Dennoch nennt der Justizminister ihn eine Idealbesetzung. Rommel arbeitete unter anderem für den Generalbundesanwalt und als Referent bei der Europäischen Union. Er habe dabei großes diplomatisches Geschick bewiesen, so Stickelberger. Das wird er brauchen. Wie der Leiter der Zentralstelle auftritt, was er sagt und wie er es sagt, wird registriert. Es gehe dabei um mehr als Justiz, sagt Rommel. Das man weitermache, sei ein politisches Signal. Für die Ermittlungen vor Ort, in den Archiven in Südamerika und Osteuropa, ist ebenfalls Überzeugungsarbeit nötig. Nicht immer sind die Länder, in denen die Ermittler unterwegs sind, bereit zur Kooperation. Rommel sagt, er bringe große geschichtliche Neugier mit, werde aber sicher eine gewisse Einarbeitungsphase benötigen.
In normalen Strafprozessen spielt die Resozialisierung der Täter eine entscheidende Rolle, und die Strafe dient vor allem der Abschreckung. In den Prozessen gegen NS-Verbrecher ist das anders. Hier steht die Strafe im Vordergrund, oder wie Rommel es ausdrückt: es geht um den Schuldspruch an sich. Doch obwohl die Täter alt sind und die Taten lange zurückliegen, ist das Thema so aktuell wie lange nicht. In Deutschland wird wieder intensiv über die Vergangenheit diskutiert, weil in der Gegenwart ein tot geglaubtes Gespenst zurückkehrt: der Rassismus. Flüchtlingsheime brennen, der Ton auf den Straßen und im Internet wird härter. Kurt Schrimm hat zu seinem Abschied in Ludwigsburg gesagt, er mache sich keine Illusionen: Auch im 21. Jahrhundert bestehe die Gefahr, dass radikale Kräfte die Oberhand gewinnen und das Volk auf Demagogen hereinfällt. Die Aufklärungsarbeit der Zentralstelle könne daran nichts ändern. Auch Jens Rommel sieht diese Gefahr, klingt aber optimistischer.
Über Ravensburg nach Ludwigsburg
Person –
Jens Rommel ist in Ravensburg aufgewachsen. Der 43-Jährige hat nach dem Jura-Studium für mehrere Amtsgerichte, das baden-württembergische Justizministerium und den Generalbundesanwalt gearbeitet. Von Mai 2010 bis Januar 2013 war Rommel Ressortbeobachter des Landes bei der Europäischen Union in Brüssel, danach wurde er Oberstaatsanwalt und stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Jens Rommel ist Mitglied der FDP und nicht verwandt mit dem ehemaligen Generalfeldmarschall Erwin Rommel und dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel.
Behörde
– Die Zentralestelle wurde 1958 als Behörde aller Landesjustizverwaltungen gegründet. Die ersten Recherchen mündeten in die Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Bis heute wurden 8000 Fälle an Staatsanwaltschaften übergeben. 1975 arbeiteten 49 Ermittler in Ludwigsburg, jetzt weniger als zehn. (tim)