Am 7. Januar tritt der neue Stuttgarter OB sein Amt an. Die Ratsfraktion der Grünen will ihn loyal unterstützen, doch bei wichtigen Themen lassen sich Konflikte mit den Parteifreunden im Land kaum vermeiden.

Stuttgart - Wenn der neue Rathauschef Fritz Kuhn am 7. Januar nächsten Jahres sein Amt antritt, ist das eine Zäsur für Stuttgart – und auch für Kuhn. Stuttgart ist die erste Hauptstadt eines Bundeslandes, die von einem Grünen regiert wird. Und Fritz Kuhn, der mit allen Wassern gewaschene Bundespolitiker, muss sich auf für ihn ungewohntem Terrain erst einmal beweisen. Jahrelang hat er im Landtag und später in Berlin mit zu den Strippenziehern gehört, auch wenn ihm die Beförderung zum Minister versagt blieb. Statt im Haushaltsausschuss Reden zu schwingen oder als Parteichef die Reihen geschlossen zu halten, muss Kuhn sich jetzt mit Themen wie der Brötchentaste befassen und schon mal ein Grußwort bei Konferenzen im Rathaus sprechen. Kurzum: die Kommunalpolitik spielt sich auf einem anderen Niveau ab als dem, das Kuhn seither gewohnt war.

 

Mit Spannung wird auch erwartet, wie sich das Verhältnis zwischen der Grünen-Fraktion, der Landesregierung und dem neuen ersten Mann im Rathaus gestaltet. Die 16-köpfige Fraktion, die nach dem Abgang ihres langjährigen Vormanns und jetzigen Verwaltungsbürgermeisters Werner Wölfle eine Zeit brauchte, um sich zu sortieren, agiert mittlerweile sehr selbst- und machtbewusst. Die Fraktionsvorsitzenden Peter Pätzold und Silvia Fischer, der Grünen-Veteran Michael Kienzle sowie der Nachwuchsmann Jochen Stopper sind bei wichtigen Themen und in wichtigen Ausschüssen rhetorisch präsent und meistens gut präpariert. Hinzu kommt: keine andere Fraktion reagiert so schnell auf politische Entwicklungen: Kaum ist ein Thema gesetzt, flattert den Redaktionen auch schon die entsprechende Pressemitteilung inklusive Antrag an die Verwaltung ins Haus.

Auch in der Grünen-Fraktion gibt es Qualitätsunterschiede

Doch auch bei den Grünen klafft zwischen der ersten und der zweiten Reihe eine Kluft. So ist etwa die Grünen-Stadträtin Niombo Lomba – im Hauptberuf in der Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung beschäftigt und als grüne Nachwuchshoffnung gehandelt – in Ausschusssitzungen vorwiegend mit ihren diversen iPhones beschäftigt. Ihre kommunalpolitischen Debattenbeiträge besitzen dagegen eher Seltenheitswert.

Auch andere Fraktionsmitglieder, die die Kommunalwahl 2009 ins Rathaus gespült hat, fallen vor allem dadurch auf, dass sie sich möglichst unauffällig verhalten. Selbst die Landesvorsitzende Thekla Walker bleibt im Gemeinderat eher blass.

An der Loyalität der Fraktion zu Kuhn besteht freilich kein Zweifel – auch nicht bei der Stadträtin Clarissa Seitz, die als Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 gleichwohl kaum begeistert sein wird, dass der neue Oberbürgermeister an die Verträge mit den Projektpartnern und an das Ergebnis der Volksabstimmung ebenso gebunden ist wie sein Vorgänger. Beim ewigen Streitthema Tiefbahnhof müssen Teile der Fraktion mit zusammengebissenen Zähnen zur Kenntnis nehmen, dass auch ein Oberbürgermeister aus ihren Reihen das Projekt nicht verhindern kann.

Bei S 21 sind Konflikte mit Bahn und Land nicht auszuschließen

Andererseits: sollte sich Kuhn wie angekündigt in Sachen Stuttgart 21 als strikter und wachsamer Sachwalter städtischer Interessen präsentieren und der Bahn anders als der derzeitige Amtsinhaber auch öffentlich hin und wieder die Leviten lesen, weiß er die Fraktion nahezu geschlossen hinter sich. Dann allerdings wird er wohl nicht umhinkommen, sich auch mit den Parteifreunden im Staatsministerium und im Verkehrsministerium anzulegen. Deren Neigung, den Bau von Stuttgart 21 nochmals ganz oben auf die Agenda zu setzen oder unter bestimmten Voraussetzungen gar grundsätzlich infrage zu stellen, ist seit der Regierungsübernahme nicht mehr sonderlich ausgeprägt.

Konfliktpotenzial zwischen dem OB und den grünen Funktionsträgern im Land bietet auch der Finanz- und Bankensektor, wie sich gerade an der Diskussion über die Umwandlung der städtischen stillen LBBW-Einlagen in Kernkapital gezeigt hat. Während der heutige Staatssekretär und vormalige Verwaltungsbürgermeister Klaus-Peter Murawski gemeinsam mit LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter um die Zustimmung des Gemeinderats warb, ist den Grünen im Rat die Zustimmung zur Umwandlung der Einlagen schwerer gefallen, als es das Abstimmungsergebnis aussagt.

Breite Mehrheit bei Bildungspolitik

Bei anderen Schwerpunkten, die der neue Rathauschef im Wahlkampf gesetzt hat, besteht dagegen breiter Konsens mit den Parteifreunden – in Stadt und Land. Das Ziel Kuhns, den motorisierten Individualverkehr in der Innenstadt um 20 Prozent zu reduzieren, ist ebenso fester Bestandteil grüner Programmatik wie der Ausbau des Radwegenetzes oder die Ausweitung des im Stuttgarter Westen erprobten Parkraummanagements auf andere Stadtbezirke. Gleiches gilt für die von Kuhn befürworteten Tempolimits auf Durchgangsstraßen (50 Kilometer pro Stunde), auf Vorbehaltsstraßen (40) und in Wohngebieten (30).

In der Bildungspolitik dürfte es für Kuhn am leichtesten sein, auch jenseits der ökosozialen Mehrheit im Rat einen breiten Konsens zu organisieren. Beim Stichwort Ausbau der Kindertagesstätten etwa liegen Grüne und CDU nahe beieinander. Und dass Kuhn gut darin ist, Mehrheiten sowohl innerparteilich als auch überparteilich zu finden, bescheinigt man ihm auch an seiner alten Wirkungsstätte Berlin. Viele Grüne halten auch die Tatsache, dass dem 57-Jährigen altershalber nur eine Amtszeit beschert ist, eher für einen Vorteil als für einen Nachteil. „Der Fritz muss nicht gleich vom ersten Tag an seine Wiederwahl im Kopf haben“, sagt der Fraktionschef Pätzold. Die Ratsfraktion hat diese Muße nicht: Sie muss sich dem Wählervotum schon bei der Kommunalwahl 2014 wieder stellen.