Ob Jazz, Gospel, Pop, Kunst- oder Kirchenlieder oder ein Mix aus allem: Chöre sind in Stuttgart in Mode.

Stuttgart - Singen? Um Himmelswillen. Am besten sich im Hintergrund verstecken und nur die Lippen bewegen. Diese Haltung war gestern. Ob Jazz, Gospel, Pop, Kunst- oder Kirchenlieder oder ein Mix aus allem: Chöre sind in Stuttgart in Mode. Sie werden neu gegründet, entweder auf Dauer oder finden sich zusammen für ein einmalige Projekt auf Zeit. Die Lust zu singen, macht sich in allen Altersklassen breit. „Nur an sangesfreudigen Männern fehlt es“, sagt Dirigent Adrian Werum. Der 48-jährige Vollblutmusiker hat im vergangenen März mit dem Chor der Kulturen seinen eigenen Chor im Stuttgarter Norden gegründet. Geprobt wird einmal pro Woche in der Martinskirche.

 

Rund 20 Mitglieder, fast nur Frauen, hat der neue Chor. Dirigent Adrian Werum hat in Wien Musik studiert und dort nach dem Studium im Alter von 24 Jahren die Uraufführung des Musicals „Tanz der Vampire“ dirigiert. Später war er mit dem Stück in New York am Broadway. Seine eigene Musicalkomposition in St. Petersburg spielt nach zwei Jahren immer noch vor vollem Haus. Kein Wunder, dass Werum hervorragende Kontakte zu zeitgenössischen Komponisten aus aller Welt hat. Deshalb wird der Chor viel Neues und auch noch nie öffentlich Erklungenes zu Gehör bringen. „Durch das breite Spektrum der Komponisten unterschiedlicher Nationalität lassen sich verschiedene Kulturen musikalisch zusammenbringen, und es kann etwas ganz Neues entstehen“, schwärmt Werum. Er denkt zum Beispiel daran, das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse in kubanischen Gesang tranformieren und es seinen Chor vortragen zu lassen. Bereits geprobt wird für die „Missa Latina“, Musik von lateinamerikanischen Komponisten, die im November aufgeführt werden soll. Dem Laienchor zur Seite stehen professionelle Solisten aus aller Welt.

Der junge Chor bietet die Chance zum Experimentieren

Von Anfang an dabei zu sein, zu experimentieren und die musikalische Sprache anderer Kulturen verstehen zu lernen: Das ist es, was viele der Chormitglieder an ihrem „Chor der Kulturen“ mitmachen lässt. „Wir sind klein und fein. Fein wollen wir bleiben, aber noch ein bisschen wachsen“, sagt Karen Zoeppritz-Karle. Die 56-jährige Physiotherapeutin schätzt auch das Gemeinschaftserlebnis und das gemeinsame Erarbeiten des Repertoires.

Doch was macht die Lust am gemeinsamen Singen aus? Eine, die es wissen muss, ist die Stuttgarter Kammersängerin Helene Schneiderman. Bevor sie ihre Karriere als Opernsolistin startete, hat sie selbst 11 Jahre im Chor gesungen: „Singen wirkt gefühlsverstärkend. Dadurch findet man einen ganz unmittelbaren Zugang zu sich selbst und der eigenen Gefühlswelt. Das gemeinsame Singen ist oft vielstimmig, so dass alles in der Gemeinschaft noch facettenreicher ist“, sagt sie und stellt fest: „Singen macht einfach glücklich.“Die Musiktherapeutin Ulrike Höhmann stimmt zu: „Beim Singen wird die tiefe Bauatmung trainiert. Das pustet den Körper durch. Man wird frei und entspannt.“ Außerdem würden beim Singen Glückshormone frei gesetzt. Doch ihrer Meinung nach hat die neue Lust am Singen noch einen ganz anderen Grund: „Die Chöre haben ihr Programm geändert.“ Selbst die Gesangsvereine und Kirchenchöre seien entstaubt und „peppiger“ geworden .