Sebastião Salgado ist einer der großen Fotokünstler unserer Tage, ein Dokumentarist der Ungleichheit, der die Ausgebeuteten und Geschundenen porträtiert. Wim Wenders widmet dem Ausnahmekünstler seinen Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“.

Stuttgart - Schmeckt Ihnen Ihr Kaffee noch? Falls ja, könnte das auch daran liegen, dass Sie die Bilder erfolgreich verdrängt oder nie gesehen haben, die der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado von Kaffeekleinbauern und Plantagenarbeitern in Mittelamerika, Afrika und Indien gemacht hat. Salgado ist einer der großen Fotokünstler unserer Tage, ein Dokumentarist der Ungleichheit, der die Ausgebeuteten und Geschundenen sowie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen porträtiert. Salgados Werk ist ein Gegenentwurf zu den Verdrängungsmaschinerien in Wohlstandsgesellschaften, die ihren Konsum nur als Frage des Preises sehen, der an der Ladentheke entrichtet werden muss, nicht als Frage des Preises, den andere an fernen Produktionsstandorten entrichten.

 

Wim Wenders hat diesem Sebastião Salgado nun den am Donnerstag im Kino startenden Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ gewidmet, der in eine ganz andere Liga gehört als Wenders’ höchst erfolgreicher, aber dürftiger Bilderbogen „Buena Vista Social Club“ von 1999. Das liegt auch, aber nicht nur daran, dass Wenders hier einen Koregisseur hat, Juliano Ribeiro Salgado, den Sohn des Fotografen, und damit von vornherein einen spannungsvollen Zugang zu seinem Objekt.

Anders als „Buena Vista Social Club“ muss „Das Salz der Erde“ nicht eilends diverse Künstlerbiografien und Persönlichkeiten zu einem leicht fassbaren Bündel schnüren. Wenders und sein Partner können sich auf einen Mann konzentrieren, was ihnen Zeit lässt, Fallen zu umgehen.

Diese Fallen nämlich sind hier durchaus gegraben, bevor der erste Meter Film belichtet ist. Lassen die Dokumentarfilmer Salgados Fotos zu stark zur Wirkung kommen, verwandelt sich ihr Film in eine Diashow, in eine Salgado-Ausstellung im Kino, die dem Zuschauer wenig Mehrwert gegenüber einer Galerie bietet, aber ihm die Kontrolle über Dauer und Richtung des Blickes nimmt.

Stellen die Filmemacher aber Salgados Person zu sehr in den Vordergrund und setzen die Vertrautheit mit dem Schaffen weitgehend voraus, wird ihnen der Vorwurf begegnen, sie starteten eine Verdrängungsoffensive: sie wollten Salgado feiern, ohne die Fotografierten ins Blickfeld geraten zu lassen. Bestenfalls würden so die Empfindsamkeiten des Publikums geschont, schlimmstenfalls suggeriert, zwischen dem feinen Künstler und den unfeinen Motiven existiere ein Gefälle der Wertigkeit.

In „Das Salz der Erde“ aber finden Wenders und Salgado genau die richtige Balance von Fotograf und Fotografierten. Und sie schaffen es auch, jenen außergewöhnlichen Fotos, die Zerlumpte ohne Beschönigung so wirken lassen, als seien sie Skulpturen von Michelangelo oder Bertini, jeder Einzelnen der Mensch schlechthin, Kamerabilder an die Seite zu stellen, die dann nicht mager, fahrig oder geziert wirken.

So werden wir vom berühmten frühen Werk Salgados, den Bildern aus der brasilianischen Goldmine Serra Pelada, zu seinen aktuellen Arbeiten geführt, großen Dokumentationen der verbliebenen wilden Landschaften der Erde, und zu Salgados eigener Aufforstungsarbeit auf misshandeltem Land. Im Film „Das Salz der Erde“ wird uns klar, dass das alles eine Einheit bildet, dass der mittlerweile siebzigjährige Fotograf stets die Verantwortung jedes Menschen für die Welt, in der wir alle leben, anspricht. Der biblische Bezug des Filmtitels kann aber auch eine weitere Assoziation auslösen: Salgado sammelt mit seinen Fotos Beweismaterial für das Jüngste Gericht, Belege dessen, was beim Blick über den Impulspferch der Shopping Malls hinaus alles sichtbar war.