Mit einem ökumenischen Gottesdienst beginnt die Wahlperiode des neuen Gemeinderats in Stuttgart. Gleich in der ersten Sitzung müssen die Stadträte fünf Entscheidungen bezüglich des Personals treffen.

Stuttgart - Der seit 2009 amtierende Stuttgarter Gemeinderat ist von Donnerstag an Geschichte. Das neue Bürgergremium wird sehr viel heterogener durch die drei Stadträte der Alternative für Deutschland (AfD) sowie den beiden Einzelstadträten von Stadtisten und Studentischer Liste. Interessante und originelle Persönlichkeiten wie die „Schwulenmutter“ Laura Halding-Hoppenheit (Linke), die Pfarrerin und S-21-Gegnerin Guntrun Müller-Enßlin (SÖS) oder der pensionierte Stadtdekan Hans-Peter Ehrlich (SPD) gehören dem neuen Gremium an, in dessen Amtsperiode die heiße Bauphase des S-21-Tiefbahnhofprojekts mit all seinen Herausforderungen fallen wird. Am Nachmittag werden die ausscheidenden Stadträte verabschiedet und die 22 neuen Kollegen verpflichtet. Hinzu kommt die für den ausscheidenden Freie-Wähler-Stadtrat Christoph Gulde nachrückende Ilse Bodenhöfer-Frey, die allerdings schon in der vergangenen Wahlperiode in den Rat nachgerückt war und somit keine Neustadträtin ist. Vor dieser Sitzung (Beginn um 15.30 Uhr ) findet der traditionelle ökumenische Gottesdienst in der Domkirche St. Eberhard statt.

 

OB Fritz Kuhn (Grüne) spricht in der Gemeinderatssitzung die einleitenden Worte, dann folgen Ansprachen ausscheidender altgedienter Stadträte wie etwa Michael Kienzle (Grüne), Manfred Kanzleiter (SPD), Joachim Fahrion (Freie Wähler) oder auch Rolf Schlierer („Republikaner“). Geklärt werden muss zudem, ob Christoph Gulde von den Freien Wählern sein Mandat zurückgeben darf: Er war wieder gewählt worden, aufgrund beruflicher Engpässe sieht sich der selbstständige Apotheker aber außerstande, das Amt anzutreten.

Im Vorfeld gab es Streit um die Bezirksvorsteher-Posten

In der Tat erfordert die Wahrnehmung des Mandats viel Zeit. So hat das Statistische Amt für 2013 ermittelt, dass ein Stadtrat 48 Stunden in Gemeinderatssitzungen verbracht hat. Mitglieder des Technischen und des Verwaltungsausschusses saßen gar mehr als 100 Stunden zu Beratungen zusammen. Wer seine Aufgabe ernst nimmt, benötige 30 bis 40 Stunden pro Woche für seine monatlich mit 1200 Euro plus Sitzungsgeld honorierte Stadtratstätigkeit.

Nach der Bestellung der Mitglieder beschließender und beratender Ausschüsse und der Bildung von Beiräten und Gremien wartet die erste kommunalpolitische Herausforderung auf das Gremium: die Wahl der ehrenamtlichen Bezirksvorsteher der Innenstadtbezirke Mitte, Nord, Ost, Süd und West. Eigentlich eine Formalität: gewöhnlich einigen sich die bei der Kommunalwahl erfolgreichen Fraktionen im Vorfeld auf die Besetzung – Gegenkandidaten gibt es konsequenterweise nicht.

Dieses Mal gab es allerdings Streit. Die SPD tat sich schwer mit dem Vorschlagsrecht der CDU für den Osten – und mit der fehlenden Mitbestimmung der Bezirksbeiräte bei der Personalauswahl. Der neue starke Mann bei den Genossen, Martin Körner, bisher selbst Bezirksvorsteher im Osten, hatte kurzzeitig eine Bewerbung des Vize-SPD-Kreisvorsitzenden Daniel Campolieti gegen die CDU-Bewerberin Tatjana Strohmaier unterstützt. Danach trug die SPD in einer Sitzung des Bezirksbeirats dazu bei, dass Strohmaier dort das Misstrauen ausgesprochen wurde. Ein veritables Eigentor: Körner musste fürderhin die Sorge plagen, dass die CDU ihrerseits dem SPD-Kandidaten für den Bezirksvorsteherjob im Süden, Raiko Grieb, die Unterstützung versagen könnte. Dessen Wahl steht direkt nach der von Strohmaier an.

SPD und Grüne mit neuem Spitzenpersonal

Doch mittlerweile haben sich die Fraktionschefs von CDU, Grünen und SPD auf ein Abstimmungsverfahren verständigt, dass das Risiko für die Bewerber minimiert und bei der CDU keine Revanchegelüste wegen eines möglichen schlechten Wahlergebnis von Strohmaier aufkommen lassen soll. Wie schon bei der Wahl vor fünf Jahren werden sich die Kandidaten zunächst einzeln vorstellen. Danach erfolgt jeweils der Wahlgang und die Auszählung der Stimmen – die Resultate werden aber erst ganz am Schluss bekannt gegeben.

Für den hauptberuflich bei der SPD-Landtagsfraktion arbeitenden Martin Körner hätte es zum Einstand besser laufen können, als es sich gleich mit dem CDU-Fraktionschef Alexander Kotz zu verscherzen. Die SPD-Fraktion verliert mit Manfred Kanzleiter, Andreas Reißig und Monika Wüst immerhin gleich drei erfahrene Stadträte, außerdem tritt die Fraktionschefin Roswitha Blind nicht mehr an. Mit Dejan Perc hat Körner dafür nicht nur den SPD-Kreisvorsitzenden an Bord, sondern auch einen Kritiker des Bahnprojekts Stuttgart 21, das die Partei seit Jahren spaltet. Körner hat gegenüber der StZ angekündigt, bei einigen Themen auf einen dezidiert anderen Kurs zu setzen als seine Vorgängerin Blind, die bis zu ihrer letzten Technikausschusssitzung jedwede kritische Haltung gegenüber dem Projekt vermissen ließ. Die Wähler hatten die SPD auch dafür erneut abgestraft und ihr nur noch neun statt zehn Sitze im Rat beschert.

FDP und Freie Wähler müssen Büroräume an AfD abtreten

Anders als 2009 müssen sich die Genossen aber nicht mit kleineren Büroräumen zufrieden geben. Alles bleibe beim Alten, sagt Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle. Das bedeutet auch, dass die CDU trotz des personellen Zugewinns von drei Mandaten keinen Raumgewinn erzielt. Auf je ein Zimmer verzichten müssen FDP und Freie Wähler zugunsten der Alternative für Deutschland (AfD).

Die Grünen haben am 25. Mai drei Sitze und den Status der stärksten Fraktion an die CDU verloren. Die strategische Mehrheit bei wichtigen Themen hat die Ökopartei allerdings mit SPD sowie SÖS/Linke, Piraten, Studenten und einem Einzelstadtrat der Stadtisten (insgesamt 31) plus OB Kuhn knapp behauptet. Noch scheint alles gut in der Fraktion, obwohl die Stimmenkönigin Anna Deparnay-Grunenberg mit ihrer Kandidatur für den Fraktionsvorsitz den Amtsverzicht der emsigen Frontfrau Silvia Fischer zumindest beschleunigte. Die Führungsfrage könnte erneut aufgeworfen werden, falls der Co-Fraktionschef und Architekt Peter Pätzold tatsächlich in spätestens zwei Jahren als Nachfolger von Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) auf die Bürgermeisterbank wechseln sollte.

Die Herausforderungen für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Alexander Kotz sind dagegen aktueller Natur. Sein Personalmanagement nach der Kommunalwahl wird von Parteifreunden harsch kritisiert. Die bisherigen Fraktionsvizes Iris Ripsam, Fred-Jürgen Stradinger und Jürgen Sauer wurden ausgetauscht, die Zahl der Stellvertreterposten trotz größer gewordener Fraktion auf zwei reduziert und diese mit den Philipp Hill und Beate Bulle-Schmid (beide aus Bad Cannstatt) besetzt. Sie gelten als Vertraute von Kotz, die nicht zum Widerspruch neigen.

Die Freien Wähler wollen nicht mehr Fußvolk der CDU sein

Diese Probleme hat die FDP nicht. Obwohl die Fraktion von sieben auf vier Stadträte schrumpfte, fühlt sich die Truppe als Sieger – schließlich hat sie ihren Fraktionsstatus gehalten und kein solches Desaster erlebt wie die Liberalen bundesweit. Bernd Klingler leitet das um die Anwältin Sibel Yüksel ergänzte Quartett, in dem in Michael Conz nun die für viele personifizierte Provokation der Stuttgarter FDP fehlt.

Die Freien Wähler haben gegenüber 2009 zwei Sitze eingebüßt – und haben verstanden. Das versprach wenigstens Fraktionschef Jürgen Zeeb, der noch am Wahlabend im Mai einräumte: „Wir haben versucht, Wähler zu erreichen, die es gar nicht gibt.“ Er will nun die Strategie verfolgen, die bereits Bernd Klingler erfolgreich anwandte: nicht mehr als Fußvolk der CDU agieren, sondern eine eigene, mitunter auch unkonventionelle Stadtpolitik machen.

AfD besetzt statt „Republikanern“ den rechten Rand

Einen relativ spektakulären Einstand haben zwei der drei Stadträte der rechtspopulistischen AfD gegeben. Eberhardt Brett und Heinrich Fiechtner haben sich mit ihrem Landesvorstand derart zerstritten, dass ihnen Ämterverzicht und sogar ein Parteiaustritt nahe gelegt wurden. Der Streit soll beigelegt sein, der Ruf aber hat gelitten. Der rechte Rand des Gremiums gehört nun der AfD allein, nachdem „Republikaner“-Stadtrat Rolf Schlierer nicht wiedergewählt wurde. Er hat daraufhin auch seinen Rücktritt als Bundeschef der Rechtspartei und seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Die bei komplexen Themen aufblitzenden analytischen Fähigkeiten des Mediziners und Juristen werden dem Gemeinderat fehlen – nicht dagegen seine latente Ausländerfeindlichkeit.

Links haben sich erneut das parteifreie Bündnis SÖS mit Hannes Rockenbauch als Sprecher und die Linkspartei mit Tom Adler an der Spitze gesucht und gefunden. Diese Fraktionsgemeinschaft wird ergänzt durch die Neustadträte Stefan Urbat (Piraten) und Christian Walter (Studentische Liste). Der Vorteil: Neben der Kopfpauschale von 16 000 Euro pro Jahr profitieren die beiden Neuen von der bereits vorhandenen Büroinfrastruktur. Ralph Schertlen, der für die Wahlplattform Stadtisten ins Gremium gewählt wurde, will sich dagegen alleine durch das kommunalpolitische Dickicht schlagen.