Eigentlich sollte es nur ein Stabwechsel werden: Der bisherige Präsident des Handelsverbandes, Horst Lenk, übergibt nach erfolgreicher Arbeit die Geschäfte an Hermann Hutter. Doch am Ende nutzten die Händler die Veranstaltung auch um ihre Sorgen mitzuteilen. Sie warnen vor einem Ausbluten der Innenstädte.

Stuttgart - Wer handelt für den Handel? Diese Frage stellen sich die Einzelhändler in der Stadt oft. Damit verbinden sie in aller Regel auch die Erwartung nach besseren Rahmenbedingungen – am besten von den jeweiligen Politikern umgesetzt. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut machte am Mittwoch im Interimsplenarsaal im Kunstgebäude in gewisser Weise ernst. Sie handelte und überreichte einem besonderen Händler das Bundesverdienstkreuz. Gemeint ist Horst Lenk (76), der bei der Landesdelegiertentagung des baden-württembergischen Einzelhandels nach zehn Jahren Amtszeit als Präsident verabschiedet und als Ehrenpräsident inthronisiert wurde.

 

Was sich nach einem formalen Akt anhört, entwickelte sich zu einem emotionalen Stabwechsel. Bei der Übergabe des Amts an Lenks Nachfolger Hermann Hutter (53) flossen Tränen. „Damit habe ich nie gerechnet“, sagte der Bundesverdienstkreuzträger gerührt und gab seinem Nachfolger sowie allen Einzelhändlern zwei Herzenswünsche mit auf den Weg. „Bitte begreifen Sie den Online-Handel nicht als Gegenveranstaltung zum stationären Handel, sondern als Chance“, mahnte Lenk, „zudem liegt mir das Stadtmarketing sehr am Herzen.“ Hutter versprach daraufhin in seiner Antrittsrede vor 300 Delegierten, für die Stadt „als Handelsplatz und einen Ort der Begegnung“ zu kämpfen.

Rückläufige Tendenz auch in der Königstraße

In diese Phalanx reihte sich schließlich auch der Präsident des Deutschen Einzelhandelsverbands (HDE), Josef Sanktjohanser, ein. Hintergrund ist ein Phänomen, das sich nicht nur auf Stuttgart beschränkt. Viele große deutsche Städte beklagen, dass ihre Innenstädte an Attraktivität für Kunden verlieren. „Es gibt dunkle Wolken am Himmel“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth unlängst in Düsseldorf, als er die Zahlen des ersten Halbjahres betrachtete. Sie belegen, dass sich der Kundenschwund in den Innenstädten fortsetzt. Die Gründe sind vielschichtig. Freilich ist das Internet ein Faktor. Auch das Wetter spielt beim Umsatz oft eine Rolle. Aber immer wieder beklagen Händler, dass Kommunen mehr für Sauberkeit, Sicherheit und Erreichbarkeit der Innenstädte tun müssten. Josef Sanktjohanser sprach sogar von einer „drohenden Verödung“ der Innenstädte: „Rückläufige Kundenfrequenzen hinterlassen vielerorts bereits deutliche Spuren. Studien sagen voraus, dass bis 2020 bis zu 50 000 Ladengeschäfte schließen werden. Die rückläufige Tendenz lässt sich auch an der Königstraße beobachten. Einst war die Einkaufsstraße die drittstärkste Meile in Deutschland – heute rangiert sie unter ferner liefen. „Wenn ich auf die Glanzzeiten der Königstraße zurückblicke, dann schätze ich, dass wir inzwischen 20 Prozent weniger Passanten haben“, sagt Rainer Bartle, Geschäftsführer des Buchhauses Wittwer.

Der HDE-Präsident plädiert daher für „einen engen Schulterschluss“, um den Strukturwandel zu bewältigen: „Politik und Verwaltung müssen gemeinsam mit Unternehmen und Verbänden an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, unsere Innenstädte attraktiv zu halten.“

Der neu gewählte Präsident Hermann Hutter nimmt indes „die Herausforderung und die Chance an, etwas für den Handel zu tun“. Insbesondere für die City. „Denn der Handel ist in der Innenstadt das Salz in der Suppe. Ohne den Handel ist alles nichts.“