Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin, das sich mit Gesundheitsfragen beschäftigt, hat einen neuen Präsidenten: Lothar Wieler erklärt im Interview, warum er als Tiermediziner eine gute Wahl ist und welche Gefahren er für die Gesundheit der Deutschen sieht.

Berlin - Eine Professur an der Freien Universität Berlin, ambitionierte Forschungsprojekte, akademische Verpflichtungen. So hätte es weitergehen können für den Veterinärmediziner Lothar H. Wieler, einem anerkannten Spezialisten für Infektionskrankheiten. Dennoch fängt der 54-Jährige nochmal neu an. Seit Anfang März ist er Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin und damit sozusagen oberster Gesundheitswächter der Republik.
Herr Wieler, wie wird man RKI-Präsident. Rufen Headhunter an? Oder der oberste Dienstherr, der Gesundheitsminister?
Nichts dergleichen. Die Position war ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Es gab drei Runden, in denen man sich vorstellen musste. Die letzte war tatsächlich beim Gesundheitsminister.
Wie viele Konkurrenten hatten Sie?
Das weiß ich nicht. Das wurde sehr vertraulich gehandhabt.
Was reizt Sie an diesem Job, in dem Sie sich dauernd mit den Ländern auseinandersetzen und mit dem Ministerium abstimmen müssen?
Ich möchte etwas bewegen und dazu beitragen, dass sich die Gesundheitssituation der Bevölkerung verbessert. Mein Hauptziel war immer der Schutz der Menschen vor Infektionen. Das kann ich jetzt auf einem höheren Level verfolgen.
Ein Leben als freier Forscher an der Uni klingt trotzdem attraktiver.
Die Universität bietet viel Freiraum, das ist richtig. Nach annähernd 30 Jahren, davon fast 17 Jahren als Universitätsprofessor, hatte ich aber das Bedürfnis nach einem Wechsel. Hinzu kommt, dass der Freiraum als Universitäts-Professor durch die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen eingeschränkt ist. Man ist intensiv damit beschäftigt, Drittmittel einzuwerben, um forschen zu können. Von meiner 40-köpfigen Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin waren zum Beispiel nur 15 Stellen direkt an die Universität gebunden, die übrigen durch Drittmittel finanziert.
Als Tiermediziner kümmern Sie sich nun an oberster Stelle um die Gesundheit von Menschen. Passt das zusammen?
Durchaus. Die Position war ausgeschrieben für Biologen, Mediziner und Tiermediziner. Alle drei Berufsgruppen sind dafür geeignet. Tiermediziner haben sogar eine besondere Qualifikation, weil sie traditionell stärker das Infektionsgeschehen in großen Gruppen im Blick haben, also populationsbezogen denken. Ärzte dagegen werden als Individualtherapeuten ausgebildet. Am RKI ist aber der epidemiologische Blick gefordert – der für das Geschehen in der Bevölkerung.
Was sind Ihre Spezialgebiete?
Ich beschäftige mich mit multiresistenten Keimen und mit Infektionskrankheiten, die zwischen Mensch und Tier ausgetauscht werden, Zoonosen genannt. Es gibt Viren, Parasiten und Bakterien, die in Tieren hausen, ohne ihre Wirte krank zu machen. Der Mensch steckt sich über bestimmte Wege an und wird krank. Wenn Sie diese Krankheiten verhindern wollen, müssen sie eigentlich beim Tier ansetzen.
Spielen diese Krankheiten eine große Rolle?
Etwa zwei Drittel aller neuen Infektionskrankheiten, die in die Humanmedizin gelangen, stammen aus dem Tierreich. Beispiele sind Ebola, Mers-Corona-Viren oder Vogelgrippe. Die Expertise in diesem Bereich ist daher im RKI wichtig. Schließlich befasst sich ein Großteil der Arbeiten dort mit Infektionskrankheiten.
Anfang Februar wurde das neue Glanzstück des RKI eingeweiht, ein Hochsicherheitslabor. Die Kanzlerin war dabei. Da haben Sie einen ersten großen Auftritt knapp verpasst.
Ich war trotzdem dabei, als designierter RKI-Chef – etwas mehr im Hintergrund. Das Hochsicherheitslabor ist eine großartige Einrichtung. Wenige hundert Meter entfernt befindet sich die Krankenstation der Charité, in der hochinfektiöse Krankheiten behandelt werden können. In Krisenfällen können wir nun gut zusammenarbeiten und viel schneller reagieren. Es ist schön, ein Labor auf einem derart hohen technischen Standard zu haben. Das Labor ermöglicht es dem RKI, nun mit allen Infektionserregern zu arbeiten.
Welche großen Gefahren sehen Sie für die Gesundheit der Deutschen?
Die Alterung der Gesellschaft und die damit verbundene Zunahme degenerativer Volkskrankheiten stellt sicher die größte Herausforderung dar. Demenz, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes werden häufiger, um nur einige zu nennen. Daneben sind die Globalisierung und die Klimaerwärmung immer wieder neue Herausforderungen. Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Polio können durch die Globalisierung und mit der großen Zahl der Flüchtlinge wieder nach Deutschland kommen. Solche Gefahren muss das RKI rechtzeitig erkennen, vorbeugende Maßnahmen empfehlen, Reaktionspläne entwickeln, Impfempfehlungen abgeben, Prognosen erstellen. Das ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Denn die Welt rückt immer enger zusammen und Infektionen verbreiten sich immer rascher.
Seit vergangene Woche ein ungeimpftes Kleinkind in Berlin an Masern starb, wird die Einführung einer Impfpflicht rege diskutiert. Was halten Sie davon?
Es ist das erklärte und richtige Ziel, die Masern auszurotten. Dies ist durch Impfung problemlos möglich. In anderen Ländern gibt es diese Impfpflicht. Wer sein Kind bewusst nicht impfen lässt, nimmt eine Ansteckung seines Kindes mit einem im schlimmsten Fall tödlichen Verlauf von Masern in Kauf sowie auch eine mögliche Weiterübertragung dieser Krankheit auf Mitmenschen. Um die Masern auszurotten, müssen mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Ausbruch in Berlin weiter schwelt. Hier sollten alle Optionen auf den Tisch. Die Experten des Robert-Koch-Instituts und der Ständigen Impfkommission, der Stiko, stehen jederzeit mit Rat zur Seite.
Warum macht uns auch die Grippe dieses Jahr so zu schaffen?
Dieses Jahr vermittelt der Impfstoff leider keinen so guten Schutz. Das liegt daran, dass sich im Frühjahr, wenn über die Zusammensetzung des Impfstoffs für die kommende Saison entschieden wird, nicht hundertprozentig vorhersagen lässt, welche drei Influenza-Subtypen die Hauptakteure im folgenden Winter sein werden. In diesem Jahr hat sich einer der drei Auserkorenen, das H3N2-Virus, nach der Entscheidung genetisch so stark verändert, dass der Impfstoff keinen vollen Schutz bietet. Das ist sehr bedauerlich. Es zeigt aber auch, wie schwierig diese Vorhersage ist. Und wie wichtig die Impfung ist. Würde sie besser wirken, hätten wir dieses Jahr nicht so viele Erkrankte. Allerdings gab es schon Jahre mit noch höherer Influenza-Aktivität, zuletzt in der Saison 2012/13.
Sind Sie gegen Grippe geimpft?
Ich lasse mich regelmäßig gegen Influenza impfen, auch wenn ich nur bedingt einer Risikogruppe angehöre. Es entspricht meiner Einstellung zur Impfung. Und in gut zehn Jahren gehöre ich derjenigen Risikogruppe an, in der die Grippe besonders häufig tödlich verläuft. Die Impfung macht die Abwehrkräfte schon mit dieser Art von Erregern vertraut. So fühle ich mich gut gewappnet.