Steven Spielberg liefert in seinem Historiendrama „Lincoln“ eine Parabel zu den Grenzen politischer Moral. Das Ziel, das der Präsident verfolgt, ist ehrenwert. Die Mittel auf dem Weg dorthin sind es nicht.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Demokraten und Republikaner sind hoffnungslos zerstritten. Der Präsident hat eine Mehrheit im Senat, aber nicht im Repräsentantenhaus. Ein von ihm leidenschaftlich verfochtenes Gesetz steckt scheinbar rettungslos in der Washingtoner Blockade fest. Wir schreiben nicht das Jahr 2012, sondern den Januar 1865. Der Präsident, der eine historische Verfassungsänderung durch einen widerstrebenden Kongress peitschen will, heißt Abraham Lincoln. Es geht um den Verfassungszusatz, der die Sklaverei in den USA ein für allemal abschaffen soll.

 

Der Regisseur Steven Spielberg liefert in seinem in den USA gerade in die Kinos gekommenen Historiendrama „Lincoln“ eine Parabel zu den Grenzen politischer Moral. Das Ziel, das der Präsident verfolgt, ist ehrenwert. Die Mittel auf dem Weg dorthin sind es nicht. Und trotzdem steht er am Ende als moralischer Sieger da. Der Regisseur Spielberg hielt diese Botschaft für brisant genug, dass er die Kinopremiere des historisch detailgenau recherchierten Filmes bis zum Abschluss der US-Präsidentschaftswahl verschob.

Bissiger Humor

Spielbergs Lincoln weiß, dass er nur im Schatten des Krieges eine Chance hat, eine Verfassungsänderung durchzusetzen, die das Ende der Sklaverei besiegelt. Zu groß ist auch in den Nordstaaten die Skepsis gegenüber einer bedingungslosen Befreiung der Schwarzen. Alles hängt davon ab, ob der Präsident zumindest eine Handvoll demokratischer Oppositionspolitiker auf seine Seite ziehen kann. Lincoln sabotiert deshalb sogar Friedensverhandlungen mit den Konföderierten – ein Schachzug, der in dem blutigen Bürgerkrieg noch einmal Tausende von Amerikanern das Leben kosten wird.

Wie rücksichtslos der Präsident sein Ziel durchsetzt, stellt der Film stellenweise sogar mit einer Prise bissigem Humor dar. Geheime Emissäre des Präsidenten versuchen mit Pöstchen, Patronage und Bestechungsgeldern schwankende Politiker auf Linie zu bringen. Abraham Lincoln zwingt andererseits die leidenschaftlichen Gegner der Sklaverei in der republikanischen Partei zu Abstrichen bei ihren moralischen Grundsätzen.

Spielberg präsentiert ein politisches Kammerspiel, das fast auf alle Showeffekte verzichtet. Männer in schwarzen Anzügen und mit langen Bärten bevölkern präzise nachgebautes Interieur aus dem 19. Jahrhundert. Die Szenen sind sparsam ausgeleuchtet, die Kamera bleibt nahe an den Gesichtern der Akteure. Es ist eine Welt der unverstellten politischen Leidenschaften, ohne Meinungsumfragen, ohne Fernsehbilder. Das Weiße Haus steht jedem offen. Bittsteller, Bürger und Soldaten drängen sich vor dem Amtszimmer des Präsidenten – und auf Washingtons Straßen fahren die Kutschen durch den Schlamm.

Ein perfektes Spiegelbild des Präsidenten

Mittendrin steht die amerikanische Legende Lincoln, die Spielberg vom Podest holen und in ihren Widersprüchen ausleuchten will. Der Film zeigt beispielsweise auch das schwierige Verhältnis Lincolns zu seiner Frau und zu seinem ältesten Sohn. Von der hohen Stimme bis hin zum schwerfälligen Gang gelingt dem britischen Schauspieler Daniel Day-Lewis ein perfektes Spiegelbild des Präsidenten. Er erfasst jede Nuance: die melancholischen Momente der Stille, aber auch die derben Witze und Geschichtchen, die Lincoln manchmal zum Überdruss seiner Zuhörer erzählte.

Spielbergs Lincoln ist ein Grübler und Zweifler, der trotz aller machtpolitischen Spielchen seinen moralischen Kompass nie aus den Augen verliert. Er weiß um die Fragwürdigkeit seiner Mittel, aber er nutzt sie zum höheren Zweck. „Was nützt es, wenn sie einen Kompass haben, der genau nach Norden zeigt, wenn sie auf dem Weg dorthin im Sumpf landen“, sagt er in einer Szene zu seinem Außenminister William Seward. Spielberg kontrastiert das mit turbulenten Szenen aus dem Repräsentantenhaus. Wie da die Protagonisten von Demokraten und Republikanern, von Sklavereigegnern und Rassisten den rhetorischen Unrat aufeinanderwerfen, dagegen wirken moderne Parlamentsdebatten handzahm.

Amerikanische Kritiker haben „Lincoln“ als Meisterstück gewürdigt. Spielberg wecke das dringend notwendige Verständnis dafür, dass Politik ein harter Kampf der Meinungen und Interessen sein müsse. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Politikverachtung der Amerikaner gilt der Film als gegen den Strich gebürstete, historische Lektion: Abraham Lincoln konnte nur zur historischen Größe aufsteigen, weil er sich vor den Niederungen der Alltagspolitik nicht scheute.

Nicht ohne Pathos

Doch Spielberg entgeht der Heiligenverehrung nicht ganz. Im Vergleich zu Lincoln wirken die käuflichen und hemmungslos polemisierenden Politiker im Kongress wie Karikaturen. Was die Schauspielkunst von Day-Lewis der Figur von Lincoln an psychologischer Tiefe abringt, geht bei den satirisch überzeichneten Politikern auf den Hinterbänken verloren – wenngleich zugegebenermaßen das Gesetzgebungsdrama ohne diese Figuren deutlich weniger unterhaltsam wäre. Spielberg kommt auch nicht ohne Pathos über die Runden. Zu Beginn des Filmes zitieren junge Soldaten die heute an der Lincoln-Gedenkstätte in Stein gemeißelte Gettysburger Ansprache mit dem berühmten Satz von der „Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk“.

Der Film klingt mit einer feierlichen Szene rund um den toten Lincoln aus und blendet in der Schlusseinstellung auf dessen feierliche Ansprache zu seiner zweiten Amtseinführung zurück. Solche Glättungen sind in einem Hollywoodfilm wohl unvermeidbar – der nebenbei von prominenten Afroamerikanern auch dafür kritisiert wurde, dass er Schwarze nur in Nebenrollen und nicht als historische Akteure zeige.

Doch Spielberg ist ein Film von aktueller politischer Relevanz gelungen. Der Wink an den derzeitigen Amtsinhaber im Weißen Haus ist deutlich. Barack Obama hielt sich bisher von den unappetitlichen Niederungen des Gesetzesgebungsverfahrens im Kongress gerne fern. Spielbergs Lincoln steckt hingegen bis zur Spitze seines Zylinderhutes mittendrin. Obama hat 2007 seine Präsidentschaftsbewerbung auf denselben Stufen des Kapitols von Illinois verkündet wie einst Lincoln. Doch beim Blick auf Abraham Lincolns taktisches Meisterstück wird klar, dass der derzeitige Bewohner des Weißen Hauses dann doch nicht in dieser Liga spielt.