Neue Ermittler, neue Städte: Der Tatort bekommt schon wieder einen neuen Look. Am Sonntag hat das jüngste „Tatort“-Team aller Zeiten in Erfurt Premiere. Eine Story ohne Sperenzchen, keine Helden, keine Psychos - allerdings trägt die Regie beim Unterstreichen der Jugendlichkeit zu dick auf.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Nie hat man seine Ruhe – nicht mal sonntagabends beim TV-Ritual. Der „Tatort“ war lange Zeit wie ein gemütliches Sofa. Wie ein Sitzmöbel, dass es gut mit einem meint. Weil man darauf prima herumlümmeln kann. Weil es schön durchgesessen ist und einen die Flecken an der einen oder anderen Stelle nicht stören. Im Gegenteil: wo’s schon ein bisschen schmuddelig ist, darf man sich gehen lassen. Wissenschaftler aus Karlsruhe haben neulich herausgefunden, dass der „Tatort“, obwohl er auf abgeschlossenen Einzelfolgen basiert, an das Seriengedächtnis der Zuschauer appelliere und wegen seines Wiedererkennungswertes über die regionalen Ausprägungen hinweg Geborgenheit vermittle.

 

Die Teams wurden immer mal wieder ausgetauscht, das Sofa bekam einen neuen Bezug. Aber der Zuschauer hatte reichlich Zeit, um die frisch bezogene Couch wieder abzuwetzen. Und an der Machart der Krimis hat sich wenig geändert, auch wenn immer wieder ein bisschen herumprobiert wird. Allein schon der seit mehr als vierzig Jahren unveränderte Vorspann garantiert Ruhe und Ordnung. Seit geraumer Zeit aber hat die Bequemlichkeit des „Tatort“-Sofas erheblich gelitten. Immer öfter wird ihm ein neuer Look verpasst. Ständig stellen sich neue Kommissare vor, unbekannte Einsatzgebiete tauchen auf der TV-Krimi-Landkarte auf. Abstrakt formuliert: die Reihe ist stark von Dynamik und Diversifikation geprägt Das klingt ungemütlich – und ist es auch.

Ein Blick zurück: vor gut einem Jahr gesellte sich Dortmund zu den Tatorten Köln und Münster in WDR-Land; im Zentrum des neuen Quartetts im Revier steht seitdem Jörg Hartmann als psychisch angeknackster Kommissar Peter Faber. Dann traten Anfang dieses Jahres in Saarbrücken Devid Striesow und Elisabeth Brück an die Stelle von Maximilian Brückner und Gregor Weber. Der Versuch, dem Münsteraner Spaßmacherduo Liefers und Prahl mit einer geballten Ladung unmotivierter Albernheiten nachzueifern, ging nach hinten los, Jens Stellbrinks zweiter Fall im April fuhr eine der miserabelsten Quoten überhaupt ein. Von Erfolg gesegnet darf sich hingegen der NDR wähnen: In Hamburg veredelte Til Schweiger alias Nick Tschiller in „Willkommen in Hamburg“ die Dauerserienware zu einem Action-Thriller und erzielte damit eine Topquote von 12,6 Millionen Zuschauern. Auch Wotan Wilke Möhring, der neuerdings im Norden Deutschlands als Thorsten Falke unterwegs ist, traf mit seiner trocken-schnoddrigen Art den Geschmack der Zuschauer.

Mit Ulmen und Tschirner soll es humorig werden

In der neuen Saison steht nun am Sonntag die erste von zwei Premieren an: In Erfurt gehen drei Jungspunde an den Start. Friedrich Mücke, 32, und Benjamin Kramme, 31, sind als Kriminalhauptkommissar Henry Funck und Kriminaloberkommissar Maik Schaffert ein eingespieltes Team im neuen Thüringen-„Tatort“. Die Dritte im Bunde ist die Jura-Studentin Johanna Grewel, gespielt von Alina Levshin, 29. Sie will mal Staatsanwältin werden und macht deshalb ein Polizei-Praktikum. Das Trio ist das jüngste Team, das es je im „Tatort“ gegeben hat. In „Kalter Engel“ führen die Ermittlungen ins Uni-Milieu, wo gnadenloser Leistungsdruck herrscht. Eine Story ohne Sperenzchen, die Jungen kommen ganz normal daher, keine Helden, keine Psychos, allerdings trägt die Regie beim Unterstreichen ihrer Jugendlichkeit viel zu dick auf.

Der Erneuerungs-Elan der ARD-Sender hat Gründe

Der verantwortliche MDR hatte die Produktion der Folge im Internet ausgeschrieben, als Sieger ging ausgerechnet Michael Smeaton mit seiner Firma FFP New Media hervor, die für die Pilcher-Filme, Kategorie Herz-Schmerz-Schmonzette, verantwortlich zeichnet. Eine Frucht der Ausschreibung im Netz ist aber auch die Sonderfolge aus Weimar, die am 26. Dezember gezeigt wird und deshalb als „Weihnachts-Tatort“ im Gespräch ist. Nora Tschirner und Christian Ulmen werden in der Klassiker-Stadt auf Verbrecherjagd gehen. Humorig soll es werden, war zu hören, bei den beiden Darstellern nimmt das nicht wunder. Doch der Kuschelfaktor, den die Krimireihe sonst verspricht, tendiert laut Ulmen gegen Null, angeblich breche der Weimarer „Tatort“ sämtliche Regeln der Reihe. „Die Leiche kommt erst in der 17. Minute“, verriet der TV-Produzent und Schauspieler vor einiger Zeit in einem Interview. Ulmen hält es gar für wahrscheinlich, das Publikum werde derart vom Sofa hochschrecken, dass es den Machern hinterher „Blasphemie“ vorwerfen könnte. Die alten und neuen Medien werden es dem MDR dennoch danken, so haben sie etwas, womit sie in der nachrichtenarmen Weihnachtszeit die Zeitungsseiten füllen und das Social-Media-Geplapper am Laufen halten können.

Und mit Veränderungen geht es im neuen Jahr weiter: Von 2014 an will der BR nicht mehr nur von München, sondern auch noch von Franken aus ermitteln lassen; auch in Berlin wird es neue Gesichter geben, nachdem der RBB im August das Aus des Duos Dominic Raacke und Boris Aljinovic, verkündet hat. Wer Ritter und Stark beerben wird, steht noch nicht fest. Und in Frankfurt bleibt auch nichts, wie es war. Nina Kunzendorf ist nach nur fünf Folgen schon wieder raus, Joachim Król will ohne sie nicht weitermachen, weshalb im nächsten Jahr der Stab an Margareta Broich und Wolfgang Koch weiter gereicht wird.

Der gute, alte „Tatort“ droht also für das Gewohnheitstier Zuschauer ganz schön anstrengend zu werden. Die Sender können ihren Erneuerungselan plausibel begründen. Mit jüngeren Schauspielern, wie jetzt in Erfurt, will man jüngeres Publikum an sich binden, immerhin ist der Sonntagskrimi eine der wenigen Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen überhaupt, für den sich das Jungvolk interessiert. Das gleiche Motiv steht hinter der Verpflichtung von Größen wie Schweiger oder Möhring. Weil die Stars viele andere Projekte, auch im Kino, haben, sind sie maximal ein oder zwei Mal im Jahr als Regional-Ermittler im Dienst. Das reicht aus, um dem Serien-Oldtimer neue Strahlkraft zu geben und gleichzeitig den Event-Faktor zu steigern. Und der wird angesichts der Konkurrenz, die dem linearen TV im Netz erwächst, immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch das neue Showformat zu verstehen, das die ARD für den Herbst angekündigt hat: Kai Pflaume soll in einer mehrteiligen Quiz-Show den größten „Tatort“-Fan ausfindig machen.

Erneuerung, Verjüngung, alles schön und gut. Doch kann nicht langsam Schluss damit sein? Schließlich will man sonntagabends einfach nur seine Ruhe haben – und einen guten Krimi sehen.