Das NSU-Terrortrio hat sich in den 1990er-Jahren in einer ganz ähnlichen Situation radikalisiert wie heute: der Fremdenhass nimmt zu. Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Sicherheitspolitik ziehen?

Stuttgart - Der Landtag wird an diesem Mittwoch einen neuen Untersuchungsausschuss zu den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Baden-Württemberg einsetzen. Grünen-Obmann Jürgen Filius wies am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit CDU, SPD und FDP auf die Aktualität des Themas hin. Das NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe habe sich in den 1990-er Jahren in einer ganz ähnlichen Situation radikalisiert, wie sie heute anzufinden sei: in einer gesellschaftlichen Atmosphäre zunehmenden Fremdenhasses. „Das Trio hat sich bei gewalttätigen Aktionen gegen Asylsuchende gefunden“, sagte Filius. Der Hass auf alles Fremde sei das einigende Band des NSU und seiner Unterstützer-Szene gewesen. „Ähnliches beobachten wir auch heute: Der Widerstand gegen Zuwanderung eint eine ansonsten zersplitterte und zerstrittene rechte Szene.“

 

Im Zentrum der Arbeit des neuen Untersuchungsausschusses soll der Versuch stehen, das Unterstützungsumfeld des NSU in Baden-Württemberg auszuleuchten. In einem im Januar 2014 von Innenminister Reinhold Gall (SPD) veröffentlichten Bericht der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ des Landeskriminalamts heißt es, die Ermittlungen hätten keinen Nachweis erbracht, dass das Trio in Baden-Württemberg weitere Straftaten begangen habe. Ebenso wenig gebe es im Südwesten Hinweise auf ein Netzwerk, welches das Trio beim Leben im Untergrund (1998 bis 2011) unterstützt habe. Auch seien keine Personen bekannt, welche den drei Rechtsterroristen mit „strafbaren Unterstützungshandlungen“ zur Seite gestanden hätten. Insgesamt identifizierte die Ermittlungsgruppe 52 Menschen, die zwei Kriterien erfüllten: Sie standen direkt oder indirekt mit dem Trio in Kontakt, und sie hatten einen Bezug zu Baden-Württemberg. Bei weiteren 35 Personen mit Bezug zu Baden-Württemberg gibt es Anhaltspunkte für Verbindungen zum Trio und deren Umfeld.

Kiesewetter nur ein Zufallsopfer

Dem NSU werden zehn Morde und zahlreiche weitere Verbrechen – Sprengstoffanschläge und Banküberfälle – zur Last gelegt. Die Generalbundesanwaltschaft geht davon aus, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe für die Morde an neun Migranten sowie an der Polizistin Michèle Kieswetter verantwortlich sind. Kiesewetters Streifenwetter wurde bei dem Anschlag auf der Heilbronner Theresienwiese durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Der erste, Ende 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zum NSU war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei Kiesewetter und deren Kollegen um Zufallsordner handelte. Verbindungen nach Thüringen, wo Kiesewetter aufgewachsen war und auch der NSU wurzelte, wurden nicht als motivgebend für die Tat gewertet. Die Täter hätten die Polizisten vielmehr als Repräsentanten des Staats attackiert, befanden die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses.

Eine Frage blieb allerdings offen, und die soll im zweiten Untersuchungsausschuss behandelt werden: ob sich nämlich am Tattag Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste in Heilbronn herumtrieben, und wenn ja, weshalb. Dafür finden sich gewisse Hinweise. Der CDU-Obmann Arnulf von Eyb warnte allerdings vor zu hohen Erwartungen. SPD-Obmann Boris Weirauch sagte, Fotos und Karten des NSU-Trios ließen darauf schließen, dass die Kontakte der Drei in den Südwesten womöglich doch enger waren als bisher gedacht. Auch sollen die Rolle rechtsextremer Musikgruppen sowie deren Vertriebsstrukturen in die Untersuchungen einbezogen werden.

Den Vorsitz im neuen Untersuchungsausschuss übernimmt der SPD-Politiker Wolfgang Drexler, der bereits das Vorgängergremium geleitet hatte und dafür viel Lob erhielt. Grüne und CDU Stellen jeweils vier Mitglieder, die SPD ist mit zwei Abgeordneten dabei, FDP und AfD mit jeweils einem. Bis 31. Oktober 2018 soll der Ausschuss seine Arbeit abschließen. Grünen-Obmann Filius sagte, der Ausschuss wolle einen Beitrag leisten, dass das rechtsextremistische Gift nicht die Mitte der Gesellschaft erreiche.