Gemütlichkeit ist Trumpf: Auf ihrem neuen Album "Mylo Xyloto" bietet die britische Band Coldplay Melodien für Millionen - eingängig und kantenarm.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Es mag etwas desillusionierend klingen, doch Robert Fripps und Brian Enos mit Abstand bekannteste Songs sind jeweils nur vier Sekunden lang. Fripp hat die kleine Startmelodie für das Computerbetriebssystem Windows 7 komponiert, die Millionen von Menschen allmorgendlich zu hören bekommen, wenn sie ihren Rechner anschalten; aus Enos Feder stammt die Erkennungsmelodie für Windows 95. Jenseits dessen haben Fripp und Eno der progressiven Musik zwar enorme Dienste erwiesen, doch Fripps Werke und Enos Alben – zuletzt vor drei Monaten das hervorragende „Drums between the Bells“ – verkaufen sich nicht eben reißend. Schicksal jener Künstler, die auf komplexere Stoffe setzen.

 

Ganz anders verhält es sich mit den Alben der britischen Band Coldplay. Schön für Brian Eno also, der sowohl ein hochinnovativer Musiker wie auch ein geachteter Produzent ist, dass er von Coldplay auf deren jetzt erschienenen Album „Mylo Xyloto“ nicht nur als Koproduzent und Songveredler ausgewiesen wird – sondern von Chris Martin, dem Sänger der Band, sogar als „assoziiertes Bandmitglied“ bezeichnet wird? Nun ja, Eno ist ein uneitler Zeitgenosse, ihm wird es egal sein, und Martin hat im Vorfeld der Veröffentlichung des nunmehr fünften Albums der britischen Popformation schließlich auch schon erzählt, dass „Mylo Xyloto“ im Vergleich zu seinen Vorgängern „stripped down“ sei, also weitaus reduzierter instrumentiert.

Überladen und zutatenschwer

Das stimmt definitiv nicht. Im Vergleich zum schon üppig ausgestalteten „Viva la Vida“ legt Coldplay hier noch einmal eine Schippe pastoser Flächigkeit, orchestralen Ornats und cinemascopeartiger Breite drauf. Mit Enos Synthesizergrundierung und einer darüber viele weitere Klangschichten pinselnden Band entsteht ein Sound, so überladen und zutatenschwer, dass er Minimalmusikern für einen kompletten Backkatalog reichen würde.

Es ist jedoch ein Klang, der Tribut zollt an die Erwartungen, die an eine Stadionband wie Coldplay geknüpft werden. Eingängig und kantenarm wie noch nie präsentiert sich das Quartett, als Gastvokalistin wurde das Popsternchen Rihanna für die recht müde Downtempo-Dancefloornummer „Princess of China“ verpflichtet, in plüschiger Gemütlichkeit inszeniert sich die Band ihrem urbanen Zielpublikum als „Flokati für das Durchgangszimmer im digitalen Dorf“, wie ein Kollege mild spöttelt.

Als ein Konzeptalbum will Chris Martin das Werk mit dem Fantasietitel übrigens auch noch verstanden wissen, aber auch diese Aussage geht nur auf, wenn man durchgehend variantenarme Einförmigkeit als in sich geschlossenes Konzept betrachtet. Keine Frage, „Mylo Xyloto“ ist – so man denn Martins etwas weinerlich wirkenden Gesangsstil goutiert – kein schlechtes Album, es wird sich wie seine Vorgänger auch zigmillionen Mal verkaufen. Es bietet aber längst nicht mehr jene großen Entwürfe der ersten drei Coldplay-Scheiben „Parachutes“, „A Rush of Blood to the Head“ und „X & Y“. Die Ballade „U.F.O.“ sowie „Major Minus“ mit seinen angerockten Gitarrenriffs sind die einzigen zwei der insgesamt vierzehn Stücke, die aus der Behaglichkeit des Albums ausbrechen. Gradlinig ist das immerhin, doch wer Winkelzüge sucht, greife lieber zu Enos Soloalbum.

Coldplay: Mylo Xyloto, Parlophone/Emi