Damon Albarn beamt seine Comic-Band Gorillaz mit dem Album „Humanz“ in neue technische Dimensionen. Die Musik wird dabei beinahe zur Nebensache.

Stuttgart - Mitteilungen und Videos auf Facebook und Youtube, eine Virtual-Reality-App, ein Kurzfilm im 3-D-Format, dazu „Gorillaz Spirit House Experiences“ in eigens dafür eingerichteten, mit einem Hersteller von internetbasierten Soundsystemen entworfenen Pop-Up-„Haunted Houses“ in New York, Berlin und Amsterdam: Die Mitglieder der Band Gorillaz – Frontmann 2D, der Bassist Murdoc Niccals, der Schlagzeuger Russel Hobbs und die Gitarristin und Keyboarderin Noodle – haben im Moment alle Hände voll zu tun. Um sein neues Album „Humanz“ zu promoten, bespielt dieses digitale, von dem Popmusiker Damon Albarn und dem Zeichner Jamie Hewlett vor knapp zwanzig Jahren erfundene Quartett derzeit so ziemlich alle medialen Plattformen und erschafft sich sogar neue virtuelle Welten hinzu. Mehr noch, selbst den Sprung ins echte Leben hat die Anarchotruppe aus dem Computer schon geschafft. Jüngst lümmelten die Pixelpunks Murdoc und 2D gar für ein Interview mit einem „richtigen“ Moderator auf dem Sofa eines englischen TV-Studios.

 

Die Entwicklung entpuppt sich als Fluch und Segen zugleich. Einerseits haben Albarn und Hewlett mit den Gorillaz ein Vehikel geschaffen, für das nicht nur neue Musik geschrieben, sondern das beständig auch mit Inhalt aus dem Computer gefüttert werden will. Andererseits können die Figuren nach Belieben als bissig-ironische Kommentatoren des Weltgeschehens positioniert werden. Auf „Humanz“ nutzen die Gorillaz ihre Freiheit zu einem pessimistischen Blick auf die Welt in neuen Zeiten. „Ich habe mir während der Aufnahmen vorgestellt, wie die nahe Zukunft aussehen würde, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt, und wie es wäre, wenn wir dann plötzlich alle unsere Menschlichkeit verlieren und zu digitalen Geistern werden“, erläuterte Albarn jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk den Grundgedanken zu „Humanz“.

Riesenwürmer und lebende Pizzaschnitten

Optisch in Form gegossen haben Albarn und Hewlett ihre Visionen in gewohnt fantasievoller Bildsprache, in der düster ausgeleuchteten amerikanischen Hinterhöfen schon mal der Himmel auf den Kopf fällt (wie in der Animation zu „Ascension“). Noch extravaganter: das im Stil japanischer Manga-Comics gezeichnete „Saturnz Barz“. Dort treiben im Inneren eines verwunschenen Geisterhauses einäugige Riesenwürmer, schlecht gelaunte Polypen und lebende Pizzaschnitten ihr Unwesen, während der ins All entführte 2D inmitten eines Meteroitenschwarms eine Runde Golf spielt. Was das alles mit Donald Trump zu tun hat, erschließt sich nicht wirklich – es sieht aber definitiv viel besser aus.

Musikalisch wurde „Humanz“ zu einer Mischung aus Newcomerparade und Gipfeltreffen etablierter Stars. So verwandelt der amerikanische Black-Music-Geheimtipp Peven Everett das von Old-School-Elektronik dominierte „Strobelite“ in einen veritablen Discosoul-Stomper. In dem rustikal scheppernden „Ascension“ liefert der HipHop-Twen Vince Staples eine agile Rap-Performance, während in „Hallelujah Money“ der englische Soul-Chansonnier Benjamin Clementine in bester Frank-Sinatra-Manier den patriotisch kolorierten Nonsenskapitalismus des geschäftsführenden Präsidenten der Amerika AG ironisiert. Doch auch prominente Kollegen gaben sich die Ehre für ein Tête-à-tête. So machen in dem stampfenden „Momentz“ die HipHop-Veteranen De La Soul ordentlich Radau. Eher in die Kategorie „Namedropping“ fällt hingegen der Auftritt der Popdiva Grace Jones in „Charger“.

Die beste Vokalperformance liefert jedoch der jamaikanische Dancehall-Youngster Popcaan, der in „Saturnz Barz“ zu einer raffinierten Mischung aus Dubstep und psychedelischer Elektronik seine Zungenfertigkeit unter Beweis stellt. Allerdings changiert die Musik meist eher in Trash-Ästhetik durch einen Nebel aus alternativem HipHop, Indierock, Soul und Dub, als dass sie ihr Thema radikal ausformuliert. Und weil Albarn die ganz großen Rhythmen und Melodien diesmal hörbar schwerer von der Hand gingen als in vergangenen Glanzzeiten, funktioniert „Humanz“ mehr als multimediales Gesamtpaket denn als musikalisches Glanzstück. Aber immerhin, es funktioniert.

„Humanz“ erscheint an diesem Freitag bei Parlophone im Vertrieb von Warner Music.