Auf „Day Breaks“ zeigt Norah Jones endlich wider, was wirklich in ihr steckt. Es dominiert ihre Affinität zum Jazz. Das neue erinnert unter anderem an Duke Ellington.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Irgendwann zuletzt, in einem dieser Parkhäuser, die Musik von Norah Jones gerne zur Beruhigung der Kundennerven einsetzen (gerne von „Come Away With Me“ oder „Not Too Late“), dachte man, mit Wolf Biermann: Das könne ja wohl doch nicht alles gewesen sein von dieser außerordentlichen Begabung, die 2003 die Szene betrat, um gleich mit ihrem ersten Album (und Millionenverkäufen) ein ganzes Label zu retten, nämlich Blue Note.

 

Seitdem hielt die Tochter von Ravi Shankar vom Klavier aus einen besonderen Platz besetzt im weiten Niemandsland zwischen Pop und Jazz, ohne sich genau festzulegen. Man konnte es sich bei ihr stets gemütlich machen. Zu gemütlich vielleicht.

Auf breiter Hammond-Grundlage

Nun aber nimmt Norah Jones auf der neuen CD „Day Breaks“ gleich zweimal (einmal als Bonus-Live-Aufnahme vom Newport Jazz Festival) eine auf breiter Hammond-Grundlage pulsierende Selbstbestimmung vor: „Endlich weiß ich, wer ich sein soll“, heißt es da in „Flipside“, ein Song, der in dreieinhalb Minuten lässig klar macht, dass Norah Jones jetzt im Zweifelsfall wieder Richtung Jazz geht, von dessen Formsprache sie zuletzt nurmehr zaghaft Anleihen gemacht hatte. Sie wartet also, um noch mal Biermann zu zitieren, nicht auf bessre Zeiten: Sie gestaltet sie.

Bereits das erste Stück auf „Day Breaks“ lässt in dieser Hinsicht aufhorchen: behutsam, aber deutlich trillert über einer ostinaten Bassfigur von John Patitucci das Sopransaxofon von Wayne Shorter herein, und die Stimme von Norah Jones hat auf einmal einen neuen, verbindlichen Charakter: „The melody gives way“ heißt es in „Burn“, das auf sehr gekonnte Weise die Atmosphäre eines Jazzclubs heraufbeschwört, in dem alles möglich wird, weil sich die Beteiligten (mit allerbestem Schlagzeug: Brian Blade und Pete Remm, Hammond) harmonische Weiterungen gestatten, die man in einem Parkhaus besser nicht spielt: Mittels ein paar sensibler Rückungen ist Jones meilenweit vom Mainstream entfernt, was wiederum unmittelbar Einfluss hat auf folgende Balladen wie zum Beispiel „And There Was You“. Das dazu gebetene Streichquartett bekommt mehr als dekorative Bedeutung: Melancholie ist hier alles andere als eine Pose, vielmehr ein echtes Gefühl.

Tradiertes Kunstwerk mit Eigenleben

Um ihr bekanntes Spektrum noch weiter aufzubrechen, covert Norah Jones nicht nur sehr laid back Neil Youngs „Don’t Be Denied“, sondern eben auch „Peace“ von Horace Silver, einen Standard, der sich nur auf dem Papier im „Real Book“ fast simpel ausnimmt. Und wieder ist es Wane Shorters Saxofon, das mit gleichzeitig sprödem und innigem Ton das Stück adelt.

Auf einmal hört man keine Hintergrundsgebrauchsware mehr, sondern ein kleines, tradiertes Kunstwerk mit Eigenleben. Und die – in diesem Fall – Begleiterin Norah Jones hat einiges zu gestalten. Shorter schwebt auch deswegen so unnachahmlich, weil er so selbstverständlich getragen wird.

Ein kleines Ereignis ist Norah Jones’ Album auch deswegen am Schluss, weil es mutig an ein epochales Stück von Duke Ellington erinnert. „Fleurette Africaine“ aus dem Jahr 1962 stammt aus der Solophase Ellingtons, als dieser mit (den sich seinerzeit nicht grünen) Max Roach und Charles Mingus eine Positionsbestimmung des Trios vornahm: Jones widmet sich den Blumen aus dem afrikanischen Dschungel mit derart liebevoller Selbstverständlichkeit und Neugier, als habe sie nie etwas anders getan, als beim Übervater des Jazz zu gärtnern. Auch dies ein Akt der endgültigen Emanzipation: Norah Jones fühlt sich frei.