Die Musikerin Patti Smith legt ihr wunderbares neues Album „Bunga“ vor, das nach einem Hund benannt ist. Ganze acht Jahre hat die Amerikanerin sich dafür Zeit gelassen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Im Frühjahr 2009 geht Patti Smith an Bord eines Schiffs, das wenige Monate später kentern und drei Dutzend Menschen in den Tod reißen wird. Sie dreht auf offener See mit dem Regisseur Jean-Luc Godard einen seltsamen Film, schreibt auf der Reise ein Lied namens Seneca, das sich drei Jahre später auf einem Album wiederfindet, das nach einem Hund aus Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ benannt ist und bei dem Johnny Depp Gitarre und Schlagzeug spielt.

 

Das klingt ganz schön mysteriös. Aber alles ist erklärbar. Die New Yorker Sängerikone befand sich tatsächlich vor drei Jahren auf der Costa Concordia, die im Januar dieses Jahres vor der italienischen Insel Giglio auf Grund laufen sollte. Eingeladen hatte sie Godard, um auf dem Dampfer Szenen für seinen Film „Socialism“ zu drehen, in dem Patti Smith eine kleine Camouflagerolle spielt. Und da, so Patti Smith in den Linernotes zu ihrem neuen Album, auf der Reise zwischen Sizilien, Zypern, Rhodos, Izmir und Alexandria „viel Zeit zum Nachdenken über die Zukunft“ zur Verfügung stand, schrieb sie dieses Stück, das allerdings nicht nach dem römischen Philosophen Seneca, sondern nach ihrem Patenkind gleichen Namens benannt ist.

Johnny Depp ist mit von der Partie

Und Bulgakows Hund Banga gibt nicht nur dem Album seinen Titel, im gleichnamigen Song spielt tatsächlich der Hollywoodstar Johnny Depp mit – als kleine Revanche dafür, dass Patti Smith ihm wiederum den Song „Nine“ für seinen Film „The Rum Diary“ geschrieben hat, der auf dem Debütroman von Hunter S. Thompson basiert, welcher hingegen vor seinem Suizid vor sieben Jahren verfügt hatte, dass seine Asche bei der Trauerfeier mit einer Kanone in die Luft geschossen werden sollte, was dann auch tatsächlich geschah . . .

Aber wir schweifen ab, zumal man vieles davon in der wunderschönen, mit betörenden Fotos versehenen und in Leinen gebundenen De-Luxe-Variante des Albums „Banga“ nachlesen kann, die – – schwäbische Hausfrauen müssen jetzt ganz stark sein – sage und schreibe einen Euro mehr kostet als die reguläre CD.

Patti Smith hat schlicht ein tolles Album vorgelegt

Den Euro ist es unbedingt wert, zumal diese CD-Variante auch noch den Bonustrack „Just Kids“ enthält, der sich an das letzte Stück anschließt, eine Coverversion von Neil Youngs „After the Gold Rush“. Das Booklet informiert zudem, dass in zwei Stücken als zweiter „Stargast“ auch Tom Verlaine mitspielt, Gitarrist der Punk- und Waveband Television und früherer Boyfriend von Patti Smith, der im Übrigen vor knapp vierzig Jahren auf der Debütsingle von Patti Smith spielte, was allein schon eine ganz schön ausdauernde musikalische Lebensleistung der Künstlerin illustrieren könnte . . . aber da schweifen wir schon wieder ab.

Zu sagen ist nämlich schlicht folgendes: Patti Smith hat ein tolles Album vorgelegt. „Banga“ ist – von Johnny Depps nicht weiter nennenswertem künstlerischem Beitrag und der infantil verkorksten Version von „After the Gold Rush“ abgesehen – von ihrer Band mit dem Gitarristen Lenny Kaye, dem Bassisten und Keyboarder Tony Shanahan sowie dem Schlagzeuger Jay Dee Daugherty vorzüglich instrumentiert worden. Es ist exzellent und mit kristalliner Transparenz in den von Jimi Hendrix gegründeten Electric Lady Studios in New York aufgenommen worden. Es bezaubert mit tiefgründigen, lyrischen Texten. Und es besticht trotz der überaus disparaten Inhalte mit einer fesselnden musikalischen Homogenität.

„Banga“ zehrt natürlich vom nach wie vor betörenden Timbre ihrer rauchig-würzigen Singstimme, deren Konservierungsrezept Patti Smith – eine letzte Abschweifung sei gestattet – in der aktuellen Ausgabe des „Rolling Stone“ so beschreibt: „Ich rauche nicht, weder Zigaretten noch Pot. Man muss sich schonen und viel aufgeben: Tomatensoße, Chili, Alkohol, Rotwein, Kaffee. Alles Saure schadet. Man kann nicht alles haben. Nicht Tomatensoße und mit 65 immer noch eine gute Stimme.“

Eine posthume Hommage an Amy Winehouse

So viel als Grußbotschaft an die jüngeren Sängerinnenkolleginnen zum hinter die Löffel schreiben. Nicht sauer macht aber lustig. Das Auftaktstück „Amerigo“ leitet zunächst mit mildem Sprechgesang fehl (einem Stilmittel, das Patti Smith narrativ sehr häufig auf diesem Album nutzt), ehe es in einen vollmundigen Refrain mündet. „This is the Girl“, ihre posthume Hommage an Amy Winehouse, könnte würdiger und stilvoller nicht ausfallen, Gleiches gilt für den Maria Schneider gewidmeten letzten Tango, den sie der Schauspielerin in „Maria“ singt. An die ruppig bellende Urgewalt, mit der Patti Smith einst „Horses“ einsang, erinnert indes „Banga“, in „Mosaic“ blättern sie und ihre Band facettenreich im Rocklexikon, und in „Tarkovsky“ – an den Heroen der Kinoleinwand scheint sie auf diesem Album wirklich einen Narren gefressen zu haben – schimmert die komplette Kunstwelt der frühen New Yorker Avantgardeszene noch einmal auf.

Alles ist wunderbar anspruchsvoll inszeniert auf diesem beglückend gelungenen Album. Acht Jahre hat Patti Smith sich seit ihrem letzten „richtigen“ Album „Trampin’“ Zeit für „Banga“ gelassen. In die Zeit dazwischen fallen als künstlerische Ausrufezeichen die CD „Twelve“ mit sehr geschmackvoll ausgewählten Adaptionen sowie das lyrische Epitaph „A Coral Sea“ für ihren langjährigen Weggefährten Robert Mapplethorpe. Viel geschrieben, ebenso viel verworfen habe sie in der Zeit dazwischen, sagt sie. Und: „Man kann eben nicht alles planen.“ Wie tröstlich. Und wie segensreich, wenn es ein solch beglückendes Resultat hervorbringt.