Sea + Air haben ihr neues Album „Evropi“ fertig. Statt zuckersüßem Pop gibt es virtuos-durchkonzipierte Hinhörmusik. Am 21. August präsentiert das deutsch-griechische Musikerehepaar sein Album in Tübingen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Das deutsch-griechische Pop-Ehepaar Sea + Air (man beachte den Bandnamen!) ist einem größeren Publikum durch den Song „Do Animals cry“ bekannt geworden: zuckersüßer Akustik-Pop mit pop-untypischen Instrumenten wie dem Cembalo. Am 21. August stellen die beiden ihr neues Album „Evropi“ (Glitterhouse) auf der Waldbühne des Sudhauses in Tübingen vor – weil ihnen die Location so gut gefällt und weil sie in der Nähe wohnen.

 

Sea + Air lassen sich gern von dem leiten, was ihnen gefällt und was sie sind. Zum Interviewtermin treffen wir sie bei Ratzer Records – einfach, weil sie den Laden und die Ratzers mögen. Auftakt der Promo-Tour, der die Konzerttour folgt; womit beschrieben wäre, was Sea + Air dieses Jahr noch machen werden. Wie gut, dass sie gerade aus dem Urlaub kommen.

Wer den Konzertkalender des Duos aufmerksam verfolgt, der registrierte Gigs zu so unterschiedlichen Gelegenheiten wie einer Boss-Modenschau, dem Kirchentag, der Expo in Mailand und dem 48er in Herrenberg. „Du hast das Wave-und-Gotik-Treffen in Leipzig vergessen“, sagt Eleni Zafiriadou. „Und das Glitterhouse-Festival“, wirft ihr Ehemann und Bandpartner Daniel Benjamin ein.

Bitte genau hinhören

Glitterhouse: bei diesem Label erscheint das neue Sea+Air-Album „Evropi“ – „die sind unabhängig, international ausgerichtet und haben eine nach allen Bereichen offene Liebhaber-Fanbase“, zählt Daniel auf. Nach dem ersten Durchhören des Albums kann man sagen: stimmt, Sea + Air sind richtig bei dem Label, das so unterschiedliche Acts wie The Walkabouts, Tamikrest, Terry Lee Hale und die Stuttgarter Band Die Nerven versammelt. Motto: alles außer abgegriffen. Wie gesagt, Sea + Air sind da richtig.

Auch auf ihrem neuen, zwischen Frickenhausen, Bristol und Kanada aufgenommenen und produzierten Album verwenden die beiden Musiker allerlei „echte Instrumente“. Darauf weisen sie im Booklet ebenso hin wie im Gespräch bei Ratzer Records. „Wir haben halt teilweise 18 Instrumente auf der Bühne“, sagt Zafiriadou. Sea + Air seien keine dieser Laptop-Bands, deren Halbplayback die Leute vor zehn Jahren noch empört hätte – die heute aber selbstverständlich auf allen Festivals bejubelt werden.

„Ihr seid zwar scheiße, aber wir spielen trotzdem“

Worauf Sea + Air offensichtlich nicht neidisch sind. Wenn aber das Abnehmen ihrer Instrumente nicht klappt wie beim Freikonzert 2014 auf dem Pariser Platz und ihre Musik für ein (zugegeben geschwätziges) Publikum nicht laut genug aus den Boxen kommt, können sie pampig werden. „Ihr seid zwar scheiße, aber wir spielen trotzdem“, entfuhr es den Musikern damals. Recht hatten sie.

Sea + Air wollen, dass man ihnen zuhört. Man tut das besser aufmerksam, denn „Evropi“ ist kein Album zum Nebenherhören. Wer es trotzdem versucht, wird schnell wieder abschalten: zu komplex sind die Arrangements, zu zapplig stellenweise die Produktion, zu tiefgängig der Mix.

Zum Beispiel die erste Single „Follow Me Me Me“: ein zapplig-elektronisches Ding, der älteste Song auf dem Album. „Der Mix hat uns total fasziniert“, sagt Eleni Zafiriadou. Gemischt hat ihn Tim Bruzon; einige Songs wurden noch von Bernhard Hahn (u.a. von Loretta) gemixt; produziert haben Bruzon und der langjährige Sea+Air-Partner Andreas Stickel.

Bitte streamt dieses Album nicht!

Der Rest von „Evropi“ ist nicht ganz so düster, aber umso dichter: die überaus beweglichen, perfekt aufeinander aufbauenden Gesangsstimmen und die komplexen, virtuos Elektronisches und Akustisches verwebenden Instrumentalparts spielen sich den Ball zu. Allzu zuckrig-süßes Sie-und-Er-Geschmachte vermeiden die beiden Musiker erfolgreich.

Stattdessen erzählt das Album die Geschichte der Familie von Sängerin Eleni Zafiriadou. Deren Uroma wurde einst aus Kleinasien vertrieben; das Album schildert, wie die Familie nach Griechenland uns später nach Deutschland zog. Von dort zieht es die Jüngste der Familie, Eleni Zafiriadou, wieder raus, nach Europa. Was sich jetzt sehr konzeptalbummäßig anhört, ist vielmehr ein loser Faden, eine zweite Erzählebene zu den Songs. Schon aus diesem Grund lohnt es sich, das Album physisch zu kaufen und nicht zu streamen oder herunterzuladen: weil man das alles dank der Erklärung im Booklet viel besser versteht.

Politisch nicht, aber kosmopolitisch

Die Songs seien ein Amalgam aus jahrelangem Touren durch zwei Dutzend europäische Länder, sagen sie; 600 Konzerte von Portugal bis zur Ukraine hätten sie seit 2012 gespielt. Und nein, das Album „Evropi“ zu nennen, sei kein politisches Statement des deutsch-griechischen Musikerpaars in der Griechenlandkrise, betonen die beiden. Klar, dass sie danach gefragt wurden, von der „Welt“ zum Beispiel.

Was das Album natürlich trotzdem ist: ein Statement, wenn schon kein politisches, dann doch ein kosmopolitisches. Eines, das Unterschiede respektiert und aufnimmt. Was das Album nicht ist: ein Stück Musik aus dem Land der Wolfgangs mit Nachnamen Schäuble und Bosbach. „To all the people ‚round the world ... We understand you. But we like you ... but we care“: die Botschaft von Sea + Air aus dem vorletzten Song des Albums würde diesen und anderen Politikern gut zu Gesichte stehen.

In Italien zum Beispiel, sagt Daniel Benjamin, würden die Leute ja auch beim Konzert schwätzen. Fast noch mehr als beim Freikonzert in Stuttgart. „Aber die quatschen dann wenigstens über das, was da passiert und freuen sich lautstark, wenn es ihnen gefällt. In Stuttgart haben wir noch auf der Bühne gehört, was die Leute im Publikum sich von ihren Beziehungsproblemen berichtet haben. Das nervt!“, sagen Benjamin und Zafiriadou.

Nur langweilige Kleinstädter gehen nach Berlin

Angenehm: Sea + Air tragen ihre Unangepasstheit nicht vor sich her. Die beiden leben im Stuttgarter Speckgürtel und sind doch weltgewandter als all die Wahlberliner, die in der Hauptstadt auf den Durchbruch hoffen. „Durchbruch – in dieser Kategorie denken wir nicht“, sagt Daniel Benjamin.

„Klar wäre es geschäftlich gesehen sinnvoll, nach Berlin zu gehen. Aber dort gibt es letztlich zu viele Optionen, und alle Langweiler ziehen aus ihren Kleinstädten dorthin.“ So etwas reizt einen nicht, wenn man in Europa zu Hause ist – egal, wo man gerade zufällig wohnt. „Und außerdem ist Stuttgart viel toller, um eine Tour zu starten.“

Sea + Air stellen ihr am selben Tag erscheinendes Album „Evropi“ am 21. August auf der Waldbühne des Sudhauses in Tübingen vor.


Mehr zum Pop in der Region Stuttgart gibt es bei kopfhoerer.fm – auch auf Facebook.