Viele junge Menschen diskutieren gerne im Netz und wollen die Welt mitgestalten - dadurch haben sie auch die politische Kommunikation grundlegend verändert.  

Stuttgart - Klack! Martin Emmer klappt seinen Laptop zu und schmunzelt. Der Professor für Mediennutzung an der Freien Universität Berlin hat sich eben die digitale Bürgersprechstunde von Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschaut. "Das ist ja alles gut und wichtig", sagt er. "Aber diese Bemühungen der Politik geschehen immer noch nach dem Prinzip der alten, repräsentativen Demokratie."

 

Alte Demokratie, neue Demokratie - diese Begriffe benutzt Emmer häufig. "Viele junge Menschen, die erreicht man mit diesen Mitteln nicht mehr. Die Politik hat das noch nicht begriffen." Emmer meint einen bestimmten Teil der Bevölkerung, viele Junge sind darunter, er nennt sie die "bequemen Modernen". Sie informieren sich über Politik vorrangig im Internet und diskutieren politische Themen auch dort. Meist gehören sie keiner Partei oder Organisation an, nutzen Zeitungen und Fernsehen wenig bis gar nicht und gehen selten wählen. Sie sind aber überdurchschnittlich politisch interessiert. Die bequemen Modernen gehören zur Generation der Digital Natives, der Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind.

Einfluss des Internets auf die politische Kommunikation

Der Berliner Kommunikationswissenschaftler hat zusammen mit Kollegen von der Technischen Universität Ilmenau und der Universität Düsseldorf fast zehn Jahre lang den Einfluss des Internets auf die politische Kommunikation untersucht, also auf das Reden über und die Beteiligung an Politik. Jedes Jahr wurde eine repräsentative Gruppe von 1500 Personen telefonisch befragt. Die Ergebnisse haben die Forscher nun in dem Buch "Bürger online" veröffentlicht. Nicht alle Bürger wollen demnach mehr und direkter an politischen Entscheidungen beteiligt werden; der Mehrheit der Bürger ist politische Teilhabe und Information sogar so gut wie egal. Für Martin Emmer ist das keine Überraschung: "Das deckt sich mit den Erfahrungen und Forschungen der Vergangenheit."

Mit seinen Kollegen hat Emmer fünf Menschentypen in der politischen Kommunikation bestimmt (siehe Infokasten). Die bequemen Modernen gehören dazu; für Emmer sind sie die "Prototypen der Veränderung durch das Internet". Sie sind auch der Typus, mit der höchsten medialen Präsenz: Die Welt scheint plötzlich voller Netzaktivisten und Wutbürger. Sie sind aber nicht ganz neu: "Die bequemen Modernen gab es schon vor acht Jahren", sagt Emmer. Diese Gruppe wachse jedoch - in der Mitte der Gesellschaft. Emmer spricht von einem Generationenwandel. "Die Folgen dessen können wir gar nicht abschätzen." Was der Wissenschaftler aber mit Sicherheit sagen kann: Das Internet verändert die politische Kommunikation nicht per se. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen nutzen das Netz auch unterschiedlich intensiv.

Hartnäckige Mythen

Das Forschungsprojekt konnte zudem hartnäckige Mythen widerlegen: Durch das Internet erfolgt keine Abkehr von der politischen Kommunikation. "Die Leute verlieren sich nicht im Netz, sie zerstreuen sich nicht", sagt Emmer. Allerdings hat sich dadurch die Beteiligung an politischen Aktivitäten auch nicht erhöht, wie es sich viele erhofft hatten. Nur ein Sechstel der im Internet aktiven Menschen nutzt das Netz, um sich politisch auszutauschen. Immerhin: "Das Internet hat dazu geführt, dass Menschen sich mehr und intensiver über Politik informieren", sagt Emmer.

Ein anderer Mythos sei der vom schnellen und gestiegenen Kontakt der Politiker zum Wahlvolk, berichtet Emmer. Parteien hätten durch das Internet nicht mehr Kontakt mit den Bürgern als vor 20 Jahren. Die junge Generation nutze die neuen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme kaum, die Älteren blieben bei der für sie bewährten Form und schreiben Briefe, rufen an oder nutzen den Kontakt über die Homepage des Politikers oder der Partei. Die Jüngeren wollen selbst gestalten.

"Historisch war das Projekt eine einmalige Chance", sagt Emmer. Die Forschergruppe habe ein kurzes Zeitfenster genutzt, um die Etablierung eines Mediums quasi live zu beobachten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte die Untersuchung mit 400000 Euro gefördert. "Das Projekt ist für die Forschung ein Glücksfall", sagt auch Jan Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Die ungewöhnlich lange Laufzeit und der Zeitpunkt verleihen ihm eine Ausnahmestellung. "Zudem wurde es aus meiner Sicht methodisch sauber umgesetzt", sagt Schmidt.

Schwieriger Spagat

Mit ihrem Buch versuchen die Wissenschaftler den schwierigen Spagat zwischen Wissenschaftssprache und allgemeiner Verständlichkeit, der nicht immer zu hundert Prozent gelingt. Ausführungen zu Methodik und Theorien sind notwendig, aber schwere Kost für Laien. Immerhin der Ergebnisteil ist bewusst bürgernah formuliert. Für Berater und Sprecher dürfte das Buch in jedem Fall wertvolle Informationen über einen wichtigen Bereich der Gesellschaft eröffnen. "Politiker könnten mit den Ergebnissen ihre Zielgruppenstrategie abgleichen", sagt Jan Schmidt.

Überrascht hat die Forscher während des gesamten Projektes die extreme Dynamik des Internets. "Das ist ein sich viel stärker als erwartet weiterentwickelndes und veränderndes Phänomen - in Form und Umfang", sagt Martin Emmer. Als Beispiel nennt er die sozialen Netzwerke wie Facebook, die innerhalb von drei Jahren entstanden sind und die Online-Welt in dieser Zeit umgewälzt haben.

Buch Martin Emmer u.a.: Bürger online - Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland, UVK, 39 Euro.

Typen im Netz

Bequeme Moderne Sie sind meist jung, informieren sich hauptsächlich im Internet und sind überdurchschnittlich politisch interessiert.

Organisierte Extrovertierte Sie nutzen klassische Partizipationsformen wie Wahlen und die Bürgersprechstunde; sie lesen auch Zeitung.

Eigennützige Interessenvertreter Sie kommunizieren, wie es ihnen am besten nützt.

Traditionell Engagierte Sie beteiligen sich nur außerhalb des Internets an der Diskussion. Passive Mainstreamer Sie nutzen politische Kommunikationsaktivitäten generell kaum.