Im letzten Jahr haben Stuttgarter in Gruppen zusammen gekocht und über Probleme in der Landeshauptstadt diskutiert. Zu dem Projekt „Salz und Suppe“ gibt es nun ein Buch.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Dorfkinder, die aus der Enge der Provinz in die Großstadt geflohen sind, wollten lange nur eines: anonym sein und bloß an nichts teilhaben müssen. Doch dieser Wunsch ist anscheinend passé. In Großstädten boomen Nachbarschaftsprojekte und Stadtteilinitiativen. Man will wieder wissen, wer da neben einem wohnt, ein bisschen Dorfflair in der großen Stadt haben. „Uns ist gegenseitiges Interesse und Teilen, auch Teilhaben, wichtig“, sagt Andrea Laux. Sie war im vergangenen Jahr Moderatorin der Kochgruppe fünf bei dem städtischen Projekt „Salz und Suppe“.

 

Was braucht Stuttgart? Was verbessert das Zusammeleben in Quartieren?

Viermal sollten sich die bunt zusammengewürfelten Gruppen bei einem der Gruppenteilnehmer zu Hause treffen und gemeinsam etwas kochen. Essen verbindet, es sollte die Grundlage schaffen für ernstere Gespräche: Was braucht Stuttgart? Und vor allem: Was sind die Probleme in meinem Quartier? Und wie können die Bewohner eines Viertels diese ein Stück weit selbst lösen? Gruppe fünf hält bis heute an dieser Idee fest: „Wir leben das“, sagt Laux. Und zwar jeden Monat. Ihre kleine Kochrunde haben sie nämlich beibehalten. Kochgruppe fünf – da gehört zum Beispiel die 75-jährige Rentnerin Ingrid aus Degerloch dazu, ebenso wie die 26-jährige Stadtplanerin Olivia oder der 66-jährige Hobbyweingärtner Gerhard, beide aus Heslach, und natürlich die Moderatorin Andrea Laux und Carola Hägele, die Leiterin des Generationenhauses Heslach. „Ohne das Projekt hätten wir uns nie kennengelernt“, betont Laux. Inzwischen verbindet alle acht eine fast schon enge Freundschaft.

Das hätten Birgit Kastner und Ulrich Dilger vom Stadtplanungsamt wohl kaum gedacht, als sie im Frühjahr 2016 stadtweit einen Aufruf für ein von der Nationalen Stadtentwicklung gefördertes Pilotprojekt zur Bürgerbeteiligung ausgerufen hatten. Die Hauptzutat von „Salz und Suppe“? „Die Heterogenität der Teilnehmer“, sagt Dilger. Im Vergleich zu anderen Beteiligungsformaten wollte man eine möglichst breite Bevölkerungsschicht erreichen. Salopp gesagt: der gut situierte Killesberger sollte mit einem Hartz-IV-Empfänger beim Abendessen über Stadtentwicklung diskutieren. Das hat laut Dilger nicht in allen Gruppen funktioniert – manche Schichten habe man nicht erreichen können.

Ergebnis: Bürger wünschen sich mehr Zusammenhalt in der Nachbarschaft

Aber etwa 280 Stuttgarter haben sich gemeldet. Am Ende konnten 54 von ihnen teilnehmen und wurden auf neun Kochgruppen aufgeteilt. Die geografische Nähe war wichtig, schließlich sollte es um Quartiersarbeit gehen, um eine Verbesserung der Nachbarschaft. Zwei Monate später haben alle Gruppen bei einer Abschlussveranstaltung auf der Kulturinsel in Bad Cannstatt ihr Projekt vorgestellt. Sie alle einte, dass die Teilnehmer sich mehr Nähe zu den Mitbewohnern in ihrem Viertel wünschten.

Was hat „Salz und Suppe“ also am Ende gebracht? Das haben die Initiatoren Kastner und Dilger in einem gleichnamigen Buch zusammengefasst, welches seit dieser Woche erhältlich ist. „Alle Elemente von ‚Salz und Suppe‘ gibt es ja eigentlich schon“, sagt Dilger. Nur: „Sie gibt es nicht zusammen in einem Projekt.“ Die meisten Formate würden sich oft auf ein Milieu beschränken. Gemeinsam mit Fremden kochen und sich so an der Entwicklung der Stadt beteiligen – das hat sich noch keiner ausgedacht. Damit sei man deutschlandweit einmalig. Anfragen von anderen Städten gibt es schon. „Gerade deshalb haben wir auch viel Energie in das Buch gesteckt“, ergänzt Kastner. Es soll eine Anleitung für Nachahmer sein. „Nicht jedes Projekt muss ja so groß und umfangreich wie ‚Salz und Suppe‘ sein“, sagt Dilger. Man könne ja auch nur Teile des Formats anwenden.

Das Buch soll eine Anleitung für Nachahmer sein

Bei kleineren Projekten in Stuttgart haben sie sogar schon weitergemacht. Auch manche Teilnehmer haben ihre Projekte umgesetzt: Die Kochgruppe aus den nördlichen Stadtbezirken – deren Projekt unter den Top drei gelandet ist – organisiert örtlich wandernde Straßenfeste für die Nachbarschaft. Die Initiatoren waren schon eingeladen. „Es gab tolles Essen, viele Nationalitäten kamen zusammen, jeder hatte etwas mitgebracht“, schwärmt Kastner.

Die Kochgruppe fünf hat, um ihre Teilhabe-Idee symbolisch darzustellen, bunte Schmetterlinge aus Papier gefaltet. Etwa 700 000 sollen es werden – einer für jeden Stuttgarter, großzügig gerechnet. Sie falten noch. Insgesamt seien das Pilotprojekt und die Evaluation für das Buch sehr aufwendig gewesen, gibt Dilger zu. Laux, die Moderatorin der Degerloch-Süd-Gruppe, nennt es aber ein „Lehrstück für Demokratie“.