Weniger Prüfungen, weniger Stress und mehr Begleitung vor allem der Erstsemester, damit will das Land mehr Studenten zu guten Abschlüssen verhelfen. Das neue Gesetz unterstreicht zwar die Bedeutung der Förderung von Studierenden, von den Kosten für Coaching und Tutorien ist aber nicht die Rede.

Stuttgart - Die Klagen der Bachelorstudierenden haben Überhand genommen. Die kurzen Studiengänge seien mit Prüfungen gespickt, im Grunde sei ein Studium in sieben Semestern nicht zu schaffen. Dem will die Landesregierung mit dem neuen Hochschulgesetz abhelfen, das am 9. April in Kraft getreten ist.

 

„Bessere Studierbarkeit und Entschlackung der Studiengänge“, das sei eines der Kernthemen der Reform, sagt ein Sprecher von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Das Gesetz sei getragen von dem Gedanken „Prüfungsdruck zu verringern, Studiengänge studierbarer zu machen und gerade in der Anfangsphase des Studiums Orientierung zu vermitteln“, betont der Sprecher auf Anfrage. Im Gesetz heißt das, „die Hochschulen tragen durch eine frühzeitige Begleitung der Studierenden . . . für einen Studienerfolg Sorge“.

Wie die Hochschulen das genau machen sollen, bleibt ihnen überlassen. Auf eine verpflichtende Orientierungsprüfung mit obligatorischem Beratungsgespräch verzichtete der Gesetzgeber nach Protesten der Hochschulen. Der Personalaufwand sei zu hoch, die Prozedur damit zu teuer.

Hochschulen sehen keinen Nachholbedarf

Nun sollen die Hochschulen „geeignete Maßnahmen ergreifen“. Das tun sie ohnehin seit längerem, heißt es von diversen Universitäten und Hochschulen. „Das Gesetz hinkt der Wirklichkeit hinterher“, sagte Bastian Kaiser, der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW, früher Fachhochschule) der StZ. Das Gesetz begründe auch keinen neuen Rechtsanspruch der Studierenden.

Nachholbedarf sehen die Hochschulen nicht. Kaiser berichtet für die HAW, dass alle Ingenieurstudiengänge Mathematikvorbereitungskurse absolvierten. Zum Teil gebe es Einzelcoaching. Man habe die Reihenfolge der Prüfungen umgestellt, um die Belastungen zu reduzieren. Das Ministerium hebt hervor, dass nicht jede Prüfung benotet werden müsse, auch müsse nicht jedes Ergebnis einer Modulprüfung auch in die Endnote einfließen.

An der Universität Stuttgart können Studenten der Natur- und Ingenieurwissenschaften im „Mint-Kolleg“ entweder studienbegleitend unterstützende Veranstaltungen belegen oder sich gleich bis zu zwei Semester lang im Kolleg auf das Studium vorbereiten. Studienlotsen begleiten in Stuttgart außerdem Studenten mit Anfangsschwierigkeiten und wollen so Studienabbrüchen vorbeugen.

Umfassende Angebote

Die Uni Heidelberg weist in einer Infomesse auf die umfassenden Beratungsangebote für ihre Studierenden hin. Man justiere schon seit 2011, seit die Studenten im Bildungsstreik Alarm schlugen, die Strukturen nach und sorge dafür, dass es für fast alle Erstsemester Tutorien gebe, erläuterte eine Sprecherin der Universität. Ein eigenes Programm „Fit fürs Studium“ vermittle Kompetenzen zum Selbstmanagement.

Auch in Tübingen gibt es vor allem in den Mint-Fächern Coaching-Kurse. Seit 2011 etabliert man an der Universität das Programm „Erfolgreich Studieren in Tübingen“. Juniordozenten helfen mit vertiefenden Veranstaltungen weiter. Im neuen „diversitätsorientierten Schreibzentrum“ lernt man akademisches Schreiben und wissenschaftliches Arbeiten.

Daueraufgabe braucht dauerhafte Finanzierung

Auch wenn die Hochschulen schon viele Maßnahmen ergriffen haben, ist Bastian Kaiser froh, dass die Förderung der Studenten durch das Gesetz jetzt noch einmal an Stellenwert gewinnt. „Wenn die Förderung jetzt als Daueraufgabe im Gesetz steht, ist auch eine dauerhafte Finanzierung nötig“, betont der Sprecher der HAW-Rektoren. Auch die Uni Heidelberg betrachtet die gute Betreuung der Studenten „eigentlich als basic“. Doch auch die Uni-Sprecherin betont, „Betreuung und Begleitung kosten Geld“. Dem stehe „die chronische Unterfinanzierung der Universitäten in Baden-Württemberg“ entgegen. Hochschulen und Universitäten hoffen nun auf den neuen Solidarpakt zur Finanzierung, der noch in diesem Jahr abgeschossen wird.

Wer es bei aller Begleitung und Beratung nicht packt oder mit seiner Abschlussnote nicht zufrieden ist, bekommt mit der Gesetzesänderung eine zweite Chance. Was früher vor allem bei Juristen als „Freischussmöglichkeit“ geschätzt wurde, wird jetzt allen Studenten zugänglich. Eine neue Vorschrift sieht vor, dass Studenten innerhalb von sechs Monaten eine Wiederholungsprüfung machen können, die auch dazu genutzt werden kann, die Note zu verbessern. Bisher waren Wiederholungsprüfungen zum Teil erst nach einem Jahr möglich und auch nur dann, wenn man beim ersten Mal nicht bestanden hatte, erläutert das Wissenschaftsministerium.

Neue Zugänge zu den Hochschulen

Das neue Landeshochschulgesetz (LHG) für Baden-Württemberg ist am 9. April in Kraft getreten. Es novelliert das Gesetz aus dem Jahr 2005, das stark auf das Ideal der unternehmerischen Hochschule abzielte.

Das neue Gesetz fasst in Paragraf 58 die unterschiedlichen Voraussetzungen für ein Studium zusammen. Neu ist die Deltaprüfung. Sie erlaubt es Menschen mit fachgebundener Hochschulreife ein Fach zu studieren, für das dieser Schulabschluss bisher nicht ausreichte. Eine Prüfung kann diese Lücke oder das Delta schließen.

Auch das neue LHG sieht Studiermöglichkeiten nach einer praktischen Ausbildung vor. Meister, aber auch Berufstätige mit mindestens zweijähriger Ausbildung und mit Berufserfahrung können nach einem Beratungsgespräch an der Hochschule und einer Prüfung ein verwandtes Fach studieren.