G 8 oder G 9? Für vier innovative Gymnasien ist das nicht mehr das Thema. Sie wollen, dass ihre Schüler selbst bestimmen können, ob ihre Kursstufe zwei oder drei Jahre dauert. Aber noch fehlt die Zustimmung der Kultusminister.

Stuttgart - Man sollte die zeitlichen Vorgaben nicht so eng sehen. Das haben sich die Hochschulen gesagt, als die Bachelorstudiengänge eingeführt wurden. Konnte ein Studium anfangs nicht schnell genug absolviert werden, erproben jetzt zahlreiche Hochschulen das Studium mit eigenen Geschwindigkeiten. Auch an den Schulen eilt es auf einmal nicht mehr so sehr mit den Abschlüssen. Was die Hochschulen können, können die Gymnasien schon lange, sagen sich vier Schulen rund um Tübingen und plädieren für eine flexible Oberstufe. Der teilweise ideologiebeladene Streit, ob nun das achtjährige oder das neunjährige Gymnasium das richtige sei, ist nicht ihr Thema. Sie wollen, dass die Schüler abhängig von ihren Interessen und ihrer Leistungsfähigkeit selbst entscheiden wie lange ihre Schulzeit dauert.

 

Module für die Fächer

Abitur im eigenen Takt“ heißt der Vorschlag, den Vertreter von Gymnasien in Mössingen, Dußlingen, Rottenburg (alle Kreis Tübingen) und Neckartenzlingen (Kreis Esslingen) in ihrem „Schullabor“ erarbeitet haben. Dabei soll die Oberstufe komplett in Modulen organisiert werden. Ein Modul erstreckt sich üblicherweise über ein halbes Jahr. Das Programm ließe sich in zwei Jahren erledigen, das entspräche G8. Die Schüler könnten aber auch einzelne Module wiederholen, zusätzliche Module wählen oder die Schule für einen Auslandsaufenthalt ein halbes Jahr unterbrechen. In diesem Fall ließen sich die Module auf zweieinhalb Jahre verteilen, erklärte Dirk Wütherich , Lehrer in Dußlingen bei einer Anhörung in Stuttgart. Alle Fächer werden vierstündig unterrichtet. Die bisher zweistündigen Kurse dann eben nur ein Jahr. Das ergibt weniger verschiedene Fächer, die Schüler könnten sich besser auf die Stoffe konzentrieren.

Kein anderes G9 erfinden

Die „Schullaboranten“ wollen kein anderes G9 erfinden. Schüler sollten vielmehr eigenverantwortlich das Kurssystem ihren Bedürfnissen anpassen, betonte Helmut Dreher, der Rektor des Firstwaldgymnasiums in Mössingen. Durch das achtjährige Gymnasium seien Auslandsaufenthalte ebenso zurückgegangen wie Theater-AGs oder Schulprojekte. Der Knackpunkt des Konzeptes ist, dass die Oberstufe verlängert wird. Damit passe man gut in die neue Bildungslandschaft, meint Dreher. Die Verlängerung in der Unter- oder der Mittelstufe wie bei G9 bringe nichts. Die flexible Oberstufe dagegen ermögliche eine sinnvolle Weiterführung der künftigen Gemeinschaftsschule und sei ein klassisches Angebot für Realschulabsolventen.

Die Krönung der Flexibilisierung wäre dabei, wenn die Schüler auch die Abiturprüfung entzerren könnte und beispielsweise die Englischklausur nach zwei Jahren Oberstufe ablegen könnten, sich für Mathematik aber drei Jahre Zeit lassen könnten. Das Konzept würde auch dazu führen, dass die Leistungen der Schüler individuell gemessen werden, also nicht alle die gleiche Klassenarbeit schreiben.

Die Individualisierung käme nach Einschätzung ihrer Verfechter billiger als das neunjährige Gymnasium. Sie würde der Bildungsungerechtigkeit entgegenwirken und mehr Schülern die Chance auf das Abitur eröffnen. Die Schulen wollen ihr Konzept in einem Schulversuch erproben. Doch noch ist es zu innovativ um auch nur getestet zu werden.

Zustimmung der KMK notwendig

Das Kultusministerium kann nicht einmal allein über einen Schulversuch entscheiden. Da das Konzept ermöglichen soll, dass das Abitur nach zwei oder nach drei Jahren abgelegt werden kann, ist die Zustimmung der Kultusministerkonferenz (KMK) notwendig. Bei der Anhörung warnte Claudia Stuhrmann vom Kultusministerium , davor allzu enthusiastisch vorzupreschen. Das Gremium der 16 Bundesländer sei groß, das zu bohrende Brett dick, es gelte sensibel vorzugehen, immerhin braucht es eine Mehrheit von 75 Prozent. Die KMK tut sich schwer genug ,für alle Bundesländer gemeinsame inhaltliche Abiturstandards festzulegen. Ein Eckpfeiler ist dabei, die zentrale Abiturprüfung in einem Block. Dem läuft die Bewegung komplett entgegen, Teilprüfungen vorzuziehen. Das könnte als Erleichterung des Abiturs angesehen werden, das immerhin die Zugangsberechtigung zu Hochschulen ist. Fritz Gugel, der Dußlinger Rektor, hat wie seine Kollegen schon geahnt, dass das Blockabitur eine hohe Hürde sein könnte. Damit könne man zur Not leben, meint der Rektor. Wenn aber die Wiederholung einzelner Kurse auch abgelehnt werden sollte, „dann bleibt vom Konzept wenig übrig“. Jetzt werden Verbündete gesucht.

Teilnehmer und Sympathisanten

Am „Abitur im eigenen Takt“ sind beteiligt: das Evangelische Firstwald-Gymnasium Mössingen, das Karl-von-Frisch-Gymnasium Dußlingen, das katholische Freie Gymnasium St. Meinrad Rottenburg und das Gymnasium Neckartenzlingen.

Die Initiatoren möchten im Schuljahr 2013/14 mit dem Schulversuch beginnen. Das Kultusministerium hat die Idee in der Kultusministerkonferenz zur Diskussion gestellt, für eine Abstimmung sei es noch zu früh.

Bernd Saur, der Vorsitzende des Philologenverbands hat sich dafür ausgesprochen, den Versuch zu beantragen. Besonders für die Fremdsprachen könne sich das Konzept positiv auswirken. Jedoch seien „Unmengen“ von Lehrern vor allem n den Kernfächern und von Räumen nötig, gibt die Direktorenvereinigung zu bedenken. Am Firstwald-Gymnasium äußerten sich 61 Prozent der Schüler positiv zur Modularisierung. 36,2 Prozent sind für einen Entschleunigung der Kursstufe.