Es geht ihnen um geschlechtliche Selbstbestimmung. Mit ihrem jüngst gegründeten landesweiten Netzwerk wollen trans- und homosexuelle Initiativen die Öffentlichkeit für ihre Belange sensibilisieren.

Ludwigsburg Es geht ihnen um die Hoheit über ihre geschlechtliche Identität. Mit ihrem jüngst gegründeten landesweiten Netzwerk wollen trans- und homosexuelle Initiativen die Öffentlichkeit für ihre Belange sensibilisieren. Kim Schicklang, Mitglied des Ludwigsburger Vereins Transsexualität und Menschenrecht und Sprecherin des neuen Netzwerks, plädiert für eine offenere Weltsicht.
Frau Schicklang, wozu braucht man ein Netzwerk für trans- und homosexuelle Initiativen?
Wir wollen eine geschlechtliche Aufklärung. Es gibt heute noch Leute, die denken, Homosexualität oder Transsexualität seien Krankheiten. Wir wollen die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass es auch Abweichungen von den Stereotypen gibt, die als normal angesehen werden. Es gibt zum Beispiel Kinder, die mit uneindeutigen Genitalien geboren werden, es gibt Mädchen mit einem Penis und Jungen mit einer Vagina. Das Klischee, dass es nur Kens und Barbies gibt, basiert auf gewachsenen Normvorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Die Interessen von Trans- und Homosexuellen sind aber sicher sehr unterschiedlich.
Das schon. Zumal wir eine noch größere Vielfalt vertreten, neben Lesben-, Schwulen- und Transsexuellen-Verbänden auch Initiativen von Bi- und Intersexuellen sowie von Transgendern. Aber die Schnittstelle ist der Wunsch nach geschlechtlicher Selbstbestimmung. Es geht uns darum, Vorurteile abzubauen, damit wir die sein können, die wir sind. Es geht um Selbstbestimmung vor Fremdbestimmung. Die Frage ist doch, ob wir in einer Welt leben wollen, in der den Menschen nach Normen von gestern etwas zugeteilt wird.

Wie äußern sich diese Normen konkret?
Es gibt beispielsweise ein Transsexuellengesetz. Das besagt unter anderem, dass jemand, der sich im falschen Körper fühlt, wie es so schön heißt, mehrere Jahre in der Rolle des Gegengeschlechts leben muss, bevor beispielsweise sein Ausweis geändert wird. Aber was heißt das? Und wer definiert das? Soll man sich in die Rollenklischees von Männern und Frauen zwängen? Hinzu kommt, dass Transsexuelle erst so leben können, wie sie wollen, wenn ein Gutachter attestiert hat, dass sie eine Geschlechtsidentitätsstörung haben. Aber wir sagen, dass es diese Störung nicht gibt, sondern es gibt alle möglichen Geschlechtsvarianten.

Aber es gibt auch Fortschritte, zum Beispiel beim Thema Homo-Ehe.
Das stimmt zwar, aber hier geht es vor allem um eine Weltsicht. Das hat auch viel mit Religion zu tun. In Gesellschaften, die von patriarchalen, monotheistischen Religionen wie dem Christentum, dem Judentum oder dem Islam geprägt sind, werden Abweichungen von der Norm nur schwer akzeptiert – teilweise sind die Argumente abstrus. Neulich hat Kardinal Reinhard Marx zum Beispiel gesagt, dass eine Hetero-Ehe mehr wert sei als eine Homo-Ehe, weil aus ersterer Kinder hervorgehen. Da frage ich mich schon, wie das Zölibat zu dieser Argumentation passt.

Was war der Auslöser dafür, das Netzwerk zu gründen?
Der Impuls kam von der grün-roten Landesregierung. Sie hat ja einen Aktionsplan für Gleichstellung – und gegen Homo- und Transphobie – angekündigt. Ähnliche Bestrebungen gibt es derzeit in Nordrhein-Westfalen. Viele Initiativen wollten aber nicht, dass das über ihren Kopf hinweg stattfindet, sondern möchten den Aktionsplan mitentwickeln – nicht zuletzt als Kontrollinstanz der Politik. Aber das Ziel war auch, dass die Aktion nicht von einem einzelnen Verein kommt, wir wollten eine breite Community. Seit Herbst des vergangenen Jahres konnten sich die Initiativen deshalb auf einer sogenannten Landesliste eintragen. Bei der Gründung des Netzwerks, die Mitte September stattgefunden hat, waren schon mehr als 40 Organisationen dabei.

Unter anderem der Ludwigsburger Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht, dessen Mitglied Sie sind. Was haben Sie für Ziele?
Wir verstehen uns als Menschenrechtsverein für Transsexuelle, nicht als Selbsthilfegruppe. Die Aktion ist nicht lokal auf Ludwigsburg beschränkt, wir haben Mitglieder in ganz Deutschland. Wir schreiben Menschenrechtsberichte an die Vereinten Nationen und haben auch schon Prozesse begleitet, um zu schauen, ob die verschiedenen Abkommen eingehalten werden. Wir kämpfen für ein Ende der Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität. Allerdings will ich betonen, dass unser Verein keinerlei Sonderstellung im Netzwerk hat, wir sind auch nicht als Initiatoren zu sehen. Ich bin lediglich als vorläufige Sprecherin gewählt worden, bis wir uns richtig konstituiert haben. Denn die Frage ist jetzt erst einmal, wie wir uns – auch mit der Landesregierung – zusammenfinden und was für Aktionen wir dann planen.