Wie könnte aus dem Neuen Schloss ein Bürgerschloss werden? Auf dem Tisch liegt nun ein Vorschlag, der das Lindenmuseum in der Anlage unterbringen will.

Stuttgart - Manche Ideen liegen in der Luft. Ob sie Luftschlösser bleiben oder Wirklichkeit werden, hängt oft von der Gunst der Stunde ab. So stieß der Stuttgarter Kommunikationsgestalter Johannes Milla im Frühjahr mit seinem Vorschlag, das Neue Schloss in Zukunft als Bürgerschloss zu nutzen, eine Debatte an, die seit Wiederaufbautagen immer wieder einmal geführt wird: Ist es richtig, dass das Neue Schloss dem Finanz- und dem Kultusministerium als Amtssitz dient, oder wäre es nicht an der Zeit, über eine neue Nutzung nachzudenken, von der auch die Öffentlichkeit etwas hat?

 

Die Gelegenheit scheint günstig, denn im Herbst soll das Kultusministerium aus- und das Wirtschaftsministerium einziehen. Jetzt, so sagt auch der Stuttgarter Architekt und Vorsitzende des Architekturforums Baden-Württemberg Uwe Eggert, sollte die Chance endlich ergriffen werden, der Barockanlage in der Mitte der Stadt eine demokratischere Rolle zuzuweisen, aus der „abweisenden Büroburg“ ein „Schloss für alle“ zu machen.

Eggerts Idee: das Linden-Museum aus seiner Randexistenz am Hegelplatz zu erlösen und ihm im südlichen Schlossflügel an der Planie einen Platz im Herzen der Stadt einzuräumen. So bekämen nicht nur die ethnografischen Sammlungen einen Standort, der ihrer Bedeutung angemessen ist. Zugleich wäre diese zentrale Adresse für das Museum, das die Vielfalt der Kulturen darstellt und den Dialog zwischen ihnen fördern will, ein Signal an alle Bürger mit ausländischen Wurzeln: auch ihr seid Stuttgart. Eggert spielt damit auf ein von Wolfgang Schuster herausgegebenes Buch mit dem Titel „Wir sind Stuttgart“ an, in dem der Oberbürgermeister stolz hervorhebt, dass 170 verschiedene Nationen in der Stadt leben.

Minister Stratthaus lehnte ab – zu teuer

Welch eine Möglichkeit, dieser bunt gemischten Stadtgesellschaft nun auch mit einem Haus der Kulturen der Welt Ausdruck und Ort zu geben, meint der Architekt. Der „zentrale Ort der staatsbürgerlichen Vergewisserung“, sagt Johannes Milla dazu. Uwe Eggert wiederum sieht das Schloss in dieser Funktion als Mittelpunkt eines Stadtraums, in dem Theater, Landtag, Museen, Bibliotheken, Kirchen und Gedenkstätten das geistige, kulturelle und politische Herz Stuttgarts bilden.

Ganz neu ist dieser Vorstoß des Architekturforums nicht. Schon 2006/2007 hatte die Stiftung dem damaligen Finanzminister Gerhard Stratthaus den Vorschlag unterbreitet, die Ministerialbürokratie umzusiedeln und dafür das Lindenmuseum ins Neue Schloss zu verpflanzen. Die Initiative konnte dabei auf andere prominente Vorbilder verweisen. Das Berliner Schloss etwa soll, wenn es dereinst als Humboldtforum wiederersteht, die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufnehmen, im Pariser Louvre machten die Staatsbeamten Platz für die Kunst. Der baden-württembergische Minister zeigte sich trotzdem unbeeindruckt. Nette Idee, erklärte Stratthaus seinerzeit, aber leider unfinanzierbar.

Doch die Stuttgarter Stadtgesellschaft hat sich seither verändert . Durch die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 zu neuem Selbstbewusstsein gelangt, lässt sie sich nicht mehr so leicht abweisen, sondern nimmt die grün-rote Regierung beim Wort. Mehr Partizipation? Mehr Bürgernähe? Dann kann es ja wohl nicht sein, dass der Sozialdemokrat Nils Schmid mit seinen beiden Ressorts Wirtschaft und Finanzen demnächst als Sonnenkönig von Stuttgart das Neue Schloss besetzt hält.

Ökonomisch und ökologisch ein Unsinn

Die Stellungnahme aus dem Finanzministerium zu den Rufen nach einem Bürgerschloss bekundet denn auch, wenngleich verhalten, Sympathie für eine Umwandlung. Die weitere Verwendung der durch den Auszug des Kultusministeriums frei werdenden Flächen im Neuen Schloss werde derzeit geprüft, ließ Nils Schmid gestern verlauten. „Das Land ist der Idee, das Schloss stärker für die Bürgerschaft zu öffnen, aufgeschlossen. Nach ersten Gesprächen mit Herrn Milla finden aktuell Überlegungen statt, ob und was sich mittelfristig im Sinne dieser Idee umsetzen und mit vertretbarem finanziellen Aufwand realisieren lässt.“

Uwe Eggert hat derweil nachgerechnet. Ergebnis: ökonomisch und ökologisch sind Büros im Schloss ein verschwenderischer Unsinn. Die Staatsbediensteten säßen in Büros mit bis zu dreißig Quadratmetern und vor allem Raumhöhen von fünfeinhalb Metern. Das sei das achtfache Volumen heute üblicher Bürogrößen. Der Energieaufwand und die Kosten, all das zu beheizen, seien nicht mehr zu rechtfertigen. Das Linden-Museum dagegen, das am Hegelplatz seine liebe Not mit den niedrigen Decken hat, könnte die feudalen Höhen im Schloss nur zu gut gebrauchen. Einem Boot etwa, das zur Südseeschau 2009 angereist war, musste der Mast gekappt werden, damit es überhaupt ins Museum passte.

Ein Standesamt im Schloss, das wär’s

Preiswerter Büroraum stehe in Stuttgart in Hülle und Fülle zur Verfügung, die Ministerialbeamten würden also nicht obdachlos, meint auch Johannes Milla. Er kann dem Linden-Museum etwas abgewinnen, fände es aber falsch, wenn nun nur ein „Stühlerücken der Institutionen“ zu Gunsten einer rein musealen Verwendung einsetzen würde. Er möchte eine „offene, eintrittsfreie Plattform als Ort der politischen Bildung, wo Bürger aus Stadt und Land sich informieren können, was es Neues in Baden-Württemberg gibt, wo sich der Winzer vom Bodensee oder der DJ aus Lörrach oder das Technologieunternehmen aus dem Allgäu mit innovativen Ideen präsentieren“.

In seiner Gesamtheit dürfte das Neue Schloss groß genug für einen bunten Nutzungsmix sein. Die eine Idee muss die andere folglich nicht ausschließen. Vorteil einer solch multifunktionalen Verwendung wäre zudem, dass sie nicht im teuren Hauruckverfahren umgesetzt werden müsste, sondern in mehreren Stufen realisiert werden könnte, je nach Finanzlage. Eine Amtsstube möchten aber sowohl Milla als auch Eggert auf jeden Fall im Neuen Schloss nicht missen: das Standesamt. Denn beide haben beobachtet, wie beliebt das Schloss Solitude als Kulisse für Hochzeitsfotos ist, gerade auch bei Brautpaaren mit ausländischer Abstammung. Was liegt da näher als ein Hochzeitssalon mitten in der Stadt?