Kultur: Tim Schleider (schl)

Und was ist das eben für eine böse Geschichte! Als die Tänzerin Roxie im wüsten Chicago der „wilden Zwanziger“ ihren Liebhaber Fred erschießt, hofft sie zunächst, ihr braver Ehemann Amos, der „Schussel-Dussel“, würde die Schuld schon auf sich nehmen. Als der sich aber weigert, landet sie im Knast, landet bei lauter anderen Mörderinnen, landet bei ihrer Rivalin Velma und der korrupten Aufseherin „Mama“ Morton, landet vor allem in den Fängen des schmierig-schönen Anwalts Billy Flynn, der für ordentlich Publicity und einen Freispruch schlappe 5000 Dollar verlangt – klar, Schussel-Dussel Amos ist blöd genug, das Geld zusammenzukratzen.

 

Das ist so ungefähr ein Drittel der Handlung. Aber man kann sich vermutlich schon jetzt gut vorstellen, dass es an diesem Abend kein einziges Liebesduett gibt. Vom Guten trällert hier nur die Klatschreporterin Mary Sunshine in völlig absurden Koloraturen – klar, sie spekuliert auf hohe Auflagen. Für alle anderen Figuren ist dieser Abend, diese Geschichte, dieses Leben derweil von A bis Z nur „Hokuspokus, alles nur Show“. Aber diese Lebensshow muss man erst mal so gut über die Bühne bringen!

Alles ist auch ein Augenschmaus

Bei der Pressepremiere am Mittwoch beherrschten Carien Keizer als Roxie und Lana Gordon als Velma die Kunst der kleinen Gesten, des gezielten Hüftschwungs, der exakt zum Takt hochgezogenen Augenbraue. Wunderbar aber auch Nigel Casey als Anwalt und Isabel Dörfler als Mama Morton. Und eben alle anderen dieses absolut exakt agierenden Ensembles, in dem die Damen auch noch unglaublich lange Beine und die Herren wunderbare Waschbrettbäuche zeigen. Mit anderen Worten: es ist alles auch ein Augenschmaus. Und ein, zwei Timing-Probleme werden sich in den ersten Wochen weghobeln lassen.

Was bleibt, ist die Frage: Wird dieses Sündenfestgericht den Musicalfans in ausreichend großer Zahl schmecken? Dieses Zartbitterböse statt der ewig-süßen Vollmilch-T(r)aube-Nuss? Am Kritiker jedenfalls soll es nicht scheitern: er vergibt gern seinen Stern. „Chicago“ ist der swingende Wahnsinn und hat einen Wahnsinns-Swing. Aber Obacht: nix für Weicheier!