Im Prozess um den Fund eines neugeborenen Mädchens neben einer skelettierten Babyleiche in einem Koffer hat die Mutter des Mädchens ausgesagt, dass sie das Kind nicht töten wollte.

Hannover - Als der Polizist den Richtern beschreiben soll, wie er das verdreckte Baby in einem Koffer fand, kommen ihm die Tränen. Das drei Tage alte Mädchen lag in schmutzig-feuchte Badematten und Handtücher eingewickelt und machte Mundbewegungen, berichtet der Beamte. „Der Säugling war in einem desolaten Zustand“, sagt ein Sanitäter als weiterer Zeuge. Es habe modrig gerochen. Das Kind war mit einer Kruste von Fäkalien oder abgestorbenem Gewebe überdeckt. Als der Feuerwehrmann die Tücher im Koffer hochnahm, fand er die Knochen eines weiteren Babys.

 

Den erschütternden Fund machten die Ermittler am 29. September 2016 in einer Wohnung in Hannover. Sie waren vom Freund der Mutter des Babys alarmiert worden. Seit Freitag muss sich die junge Frau vor dem Landgericht Hannover unter anderem wegen versuchten Totschlags verantworten. Im Fall des toten Säuglings wurden die Ermittlungen eingestellt, weil nicht mehr zu klären war, ob das Kind im Januar 2015 tot oder lebendig zur Welt kam.

Die 22-jährige Laura S. tritt mit dunkler Sonnenbrille und einem braunen Schal um den Kopf in den Saal und trägt zum Prozessauftakt eine selbstverfasste Erklärung vor. „Ich hasse mich dafür, dass ich damals mein Baby dieser wirklich fürchterlichen, auch von Kot und Urin beschmutzten, übelriechenden Situation ausgesetzt habe“, liest die geschminkte Frau mit den blondierten Haaren unter Schluchzen vor. Sie sei sich aber absolut sicher gewesen, dass die Kleine nicht in Gefahr gewesen sei.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Rosenbusch fragt kritisch nach: „Sie haben ein lebendes Kind zu den Gebeinen eines toten Kindes gelegt? Was ist das für ein Signal?“ Und: „Was hat Sie daran gehindert, die Kleine zu säubern, zu waschen, verwesende Plazenta zu entsorgen?“ Wie ihre Verteidiger es darstellen, hatte die junge Frau Angst, ihren Traumpartner zu verlieren, der noch kein Kind wollte. Aus diesem Grund verheimlichte sie die Schwangerschaft, die sie schon im März 2016 bemerkt hatte.

Inzwischen lebt das Mädchen bei Pfelgeeltern

Im Juli informierte sich Laura S. über Babyklappen im Internet. Im August begann sie ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau in einem Luxus-Hotel in Hannover. Nach der Geburt des Babys ging sie laut Anklage drei Tage lang schon frühmorgens aus dem Haus zur Berufsschule und Arbeit und kam erst nachmittags wieder. Zuvor soll sie nach dem Baby im Koffer geschaut und es gestillt haben.

Am vierten Tag hörte der Freund, der mit einer Erkältung zu Hause auf dem Sofa lag, ein Schreien aus der Abstellkammer. Er öffnete den Koffer, geriet in Panik und alarmierte die Polizei. Seiner Freundin schickte er Sprachnachrichten wie: „Schatz, ich versteh die Welt nicht mehr! Was macht ein Kind bei uns im Koffer? Der Koffer war zu.“

Nun steht der mit pinken Blüten bedruckte Rollkoffer im Gericht. Laut Anklage verschloss Laura S. ihn am Morgen des Fundtages komplett mit dem Reißverschluss und stellte ihn auf. Die Angeklagte bestreitet dies, sagt sie habe immer für ausreichende Belüftung gesorgt - eine Schlüsselfrage in dem Prozess.

Als der Lebensgefährte als erster Zeuge gehört wird, wird Laura S. von Tränenkämpfen geschüttelt. Der angehende Hotelfachmann, der wie ein 15-Jähriger aussieht, widerspricht sich, lässt vieles im Vagen. „Konzentrieren Sie sich“, ermahnt ihn der Richter mehrfach. Der Freund und Vater des Babys hält an der Beziehung zu Laura S. fest.

Das Baby des Paares wurde nach seiner Entdeckung in der Medizinischen Hochschule Hannover versorgt. Es war unterkühlt, hatte eine Neugeborenen-Infektion und Hautschädigungen am Kopf, Hals und Knie. Inzwischen lebt das Mädchen bei Pflegeeltern.