Gelegenheit zur ganz persönlich gelebten Liebe zwischen den Völkern gab es in dem vor einem Vierteljahrhundert zerfallenen Jugoslawien genug. Heute ist das anders. Aber es gibt Hoffnung.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Pünktlich hatten wir am frühen Morgen unser Gefährt auf den Wartestreifen vor der Fähre in der kroatischen Hafen-Metropole Split gerollt. Noch einmal ließen wir den Blick über die nahen Palmen vor den sonnenüberfluteten Fassaden des altehrwürdigen Diokletianpalastes schweifen, als uns plötzlich ein energisches Pochen an die Fensterscheibe aus unserer Urlaubs-Muse riss. Warteten wir etwa vor dem falschen Insel-Dampfer?

 

„Ihr kommt doch aus Belgrad?“, fragte ein junger, ganz in weiß gekleideter Hafen-Mitarbeiter durch das hektisch herunter gekurbelte Fenster in beruhigend freundlichen Ton. Er sei kürzlich in Serbiens Hauptstadt gewesen, habe dort eine sehr sympathische Jelena kennen gelernt, die in den Wohnsilos in Neu-Belgrad am Zoran-Djindjic-Boulevard wohne: „Wisst Ihr, wie und wo man am besten serbische Telefonnummern finden kann?“

Liebesbande knüpfen über Grenzen ist schwer

Gelegenheit zur ganz persönlich gelebten Liebe zwischen den Völkern gab es in dem vor einem Vierteljahrhundert zerfallenen Jugoslawien genug. Schon zum Wehrdienst wurden junge Bosnier, Kroaten, Mazedonier oder Serben bevorzugt in eine andere Bruderrepublik abkommandiert. Und nicht nur beim Einsatz in sozialistischen Arbeitsbrigaden konnten sich auch potenzielle Turteltauben aus Slowenien oder Kosovo problemlos näherkommen. Meist waren es Studium, Arbeit oder der Bekanntenkreis, die die Liebesbande zwischen den ex-jugoslawischen Völkern knospen ließen: So lernte mein Belgrader Schwiegervater Momcilo seine kroatische Frau Brigita einst bei einer Verlobung von Freunden in Zagreb kennen.

Doch ohne Gelegenheit gibt es mittlerweile viel weniger Liebe. Selbst die Zeiten, dass die einstigen Brudervölker zumindest im Sommer an der kroatischen oder montenegrinischen Adria Urlaubserinnerungen und Ferienflirts teilten, sind vorbei. Statt in die ex-jugoslawische Hauptstadt Belgrad führen beispielsweise die Studien- und Arbeitswege junge Kroaten eher nach Berlin, London oder Stockholm. Nur junge Slowenen fallen wegen der niedrigeren Bier-Preise und des regen Nachtlebens alljährlich zu Sylvester noch zu tausenden in Serbiens Ausgehmetropole ein.

Gemischte Ehen sind unter dem Druck der Politik zerbrochen

Zwar waren in den Jugoslawien-Kriegen viele gemischte Ehen unter dem Druck der Ereignisse und ihrer Familien zerbrochen. Doch die fast gleiche Sprache erleichtert auch zwischen einstigen Kriegsgegnern bis heute den persönlichen Kontakt: Gar so schlecht, wie beispielsweise die politisch eher triste Nachbarschaftsehe zwischen Serbien und Kroatien vermuten lässt, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen keineswegs.

Nicht nur wenn in Belgrad bei den alljährlichen Split-Tagen Dalmatiens Pop- und Rockgrößen gastieren, haben grenzenlose Sympathien in der Donau-Metropole Konjunktur. Belgrad sei einfach eine „Super-Stadt“, versicherte uns im Hafen von Split unser redseliger Gesprächspartner: „Alle waren nett zu mir. Ich habe keine einzige schlechte Erfahrung gemacht.“ Ob er seine serbische Muse mit Hilfe der von uns empfohlenen Telefon-Website wieder aufstöbern kann, schien uns jedoch eher ungewiss: Der Belgrader Zoran Djindjic-Boulevard ist leider genauso lang wie die Zahl der serbischen Jelenas groß.