Stammzellen von Patienten mit Parkinson werden in Nervenzellen umgewandelt. An diesen Zellen sollen Hunderttausende Substanzen gegen das Leiden getestet werden. Koordiniert wird das Projekt von dem international bekannten Stammzellforscher Hans Schöler.

Stuttgart - Die Idee entstand schon vor neun Jahren, aber Hans Schöler hat sie nie aus den Augen verloren. Damals stellte ein japanischer Wissenschaftler ein neues Verfahren vor. Shinya Yamanakas Entdeckung wirkte wie Zauberei. Er konnte eine herkömmliche Hautzelle einer Maus neu programmieren und den Zellen eine neue Funktion zuweisen. So verwandelte sich die Hautzelle beispielsweise in eine Nervenzelle oder eine Zelle des Herzmuskels. „Mir war sofort klar, dass diese Methode auch beim Menschen den Zugang zu allen Zelltypen ermöglicht, die es im Körper gibt“, erinnert sich Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Daraus entstand seine Idee: „Wenn wir Zellen eines Patienten verwenden, lässt sich daraus ein Modellsystem für dessen Krankheit entwickeln“, sagt der Stammzellforscher, „wir sind ganz nah dran an den Erkrankungen.“ Schöler arbeitete mit Hautzellen von Parkinson-Patienten und verwandelte sie in Vorläuferzellen der Neuronen im Gehirn. Tatsächlich zeigen die Zellen typische Symptome von Parkinson.

 

Yamanaka erhielt für seine Methode 2012 den Nobelpreis. Schölers Idee wird vermutlich Anfang 2017 verwirklicht. Er hofft auf die Zustimmung des Bayerischen Landtags, der das Projekt mit 15 Millionen Euro fördern soll. Schöler sucht nach Wirkstoffen, die seinen Parkinson-Zellen helfen. „Wir wollen Hunderttausende Substanzen testen, und das nicht nur an Nervenzellen, sondern später für alle Arten von Zellen und Krankheiten“, erklärt er das Konzept des „Center for Advanced Regenerative Engineering“ (CARE). Zunächst sollte das Institut in Münster gegründet werden, jetzt wird es seine Heimat wohl in Bayern finden. Schölers Kollege Oliver Brüstle von der Universität Bonn kooperiert in einem ähnlichen Projekt in Straßburg mit französischen Partnern, zu denen das Wissenschaftsministerium und die Pharma-Firma Sanofi zählt.

Roboter arbeiten präzise

Schöler erbrachte vor zwei Jahren den Beweis, dass das Verfahren funktioniert. Er hat bereits 30 000 mögliche Substanzen getestet. Für das Wirkstoff-Screening setzt sein Team auf Roboter. Der huscht mit einer winzigen Pipette über die Plastikgefäße, gefüllt mit den Nervenzellen der Parkinson-Patienten. 384 Gefäße stehen in einer rechteckigen Schale, die nur 13 Zentimeter lang ist. In jede Öffnung tropft der Roboter ein spezielles Gemisch: eine Nährlösung, vermengt mit der Substanz, die sich als Grundlage für ein Medikament eignen könnte. Die Hersteller bieten Pakete mit vielen Tausend möglichen Wirkstoffe an, teilweise chemisch hergestellte Substanzen, aber auch Naturstoffe etwa aus der chinesischen Medizin. Für sie wäre es wie ein Sechser im Lotto, wenn eines ihrer Produkte einen positiven Einfluss auf die Parkinson-Nervenzellen hätte. CARE habe bereits konkrete Anfragen aus der Pharma-Industrie für eine Zusammenarbeit, so Schöler.

Damit der Test funktioniert, müssen die Forscher ein Kriterium finden, mit dem sie den Erfolg messen können. Bei den Parkinson-Zellen ist es Stress. Einer der Auslöser der Krankheit ist eine Veränderung im Gen mit dem Namen LRRK2, die ein Art Hyperaktivität bewirkt. „Das mutierte Gen sendet ständig Signale an den Zellkern der Neuronen, wodurch die Zellen regelrecht unter Stress geraten und dadurch letztlich in großer Zahl absterben“, erklärt Schöler bei der Jahrestagung des Deutschen Stammzellnetzwerkes (GSCN) in Frankfurt. Das Absterben der Neuronen ist typisch für den Verlauf von Parkinson.

Schölers Team kontrolliert, ob die getesteten Wirkstoffe diesen genetisch bedingten Stress verringern können. Doch die vorherrschenden Farben in der Ergebnisübersicht sind Blau oder Dunkelblau. Sie dokumentieren abgestorbene Zellen. Aber dazwischen gibt es ein paar wenige, rote Flecken. Sie stehen für Substanzen, die den Stress der Zelle dämpften. Das Ergebnis ist nicht mehr als ein erster Hinweis. Aber immerhin wissen die Pharmaforscher, wo sich weitere Untersuchungen lohnen. Das automatisierte Screening vereinfache die Vorauswahl, so das Kalkül der Wissenschaftler. Jeder aussichtsreiche Kandidat muss allerdings noch mehrfach durch die Roboterprozedur. Schließlich ist es möglich, dass er zwar den Parkinson-Zellen guttut, aber andere Zelltypen abtötet.

Umgewandelte Zellen als Modell für Krankheiten

Umgewandelte Zellen von Patienten als Modell für Krankheiten bilden einen der neuen thematischen Schwerpunkte der Stammzellforschung. Tatsächlich muss für fast jeden Zelltyp eine eigene Vorschrift entwickelt werden. Doch die Fleißarbeit zeigt Fortschritte, weil sich viele Prinzipien aus dem Yamanaka-Verfahren auf alle menschlichen Zellen übertragen lassen. Sieben Jahre brauchte der US-Wissenschaftler Hans-Willem Snoeck von der Columbia University in New York, bis er das richtige Rezept gefunden hatte. Jetzt kann er im Labor die Zellen herstellen, die die Wand von Lungenbläschen bilden. Die vollständige Umwandlung vom Ausgangsprodukt bis zum Ziel dauert 48 Tage, aber immerhin liefert das Verfahren 20 Millionen Zellen. Genug, damit sich der Aufwand lohnt. „Diese Zellen können beim Menschen nicht isoliert werden“, sagt Snoeck bei der GSCN-Tagung, „sie konnten bisher überhaupt nicht im Labor kultiviert werden.“ Der US-Forscher will sie jetzt mit Viren infizieren und sich den Verlauf einer Erkältung oder Grippe auf mikrobiologischer Ebene anschauen.

Solche Forschung soll auch über den Zusammenhang zwischen Genen und Krankheiten aufklären. Deshalb hat Hans Schöler seine Parkinson-Zellen in drei Varianten erzeugt. Der normale Typ stammt direkt von Patienten mit einem Defekt im LRRK2-Gen. Für die zweite Variante verwendete er Zellen gesunder Menschen, in denen er im Labor mittels Gentechnik den Fehler im LRRK2-Gen einbaute. Für die dritte Gruppe reparierte Schöler in der Petrischale das defekte Gen. Der Vergleich der drei Zelltypen lieferte ein klares Ergebnis. Der Stress, der zum Zelltod führt, steht direkt im Zusammenhang mit dem Fehler im LRRK2-Gen. Eine solche Reparatur der DNA durch das sogenannte Gen-Editing funktioniere nur im Labor, aber nicht beim Patienten, stellt Schöler klar. „Von der ethischen Problematik abgesehen, halte ich es nicht für möglich, diese Technik in der derzeitigen Qualität beim Menschen anzuwenden“, sagt er. Das Reparaturverfahren sei noch nicht zielsicher genug.