Neurowissenschaftliche Experimente mit Minderjährigen müssen unterhaltsam gestaltet sein. Und ethische Bedenken gilt es auch zu berücksichtigen. Ergebnisse aus der Hirnforschung mit Kindern sind nicht nur für grundlegende Erkenntnisse wichtig. Auch bei der Entwicklung von Medikamenten ist man auf die Daten angewiesen.

Stuttgart - E

 

in Dröhnen erfüllt das Raumschiff. Wechselnde Szenen von Landschaften und Orten ziehen vor Neos Augen vorüber. Jedes Mal, wenn der Astronaut ein Alien ausmacht, betätigt er einen Knopf. Über die Lautsprecher erklingt zwischendurch die Stimme der Bodenstation. Das ist keine Szene aus einem Science-Fiction-Film. Das Geschehen findet am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin statt. Neo ist ein Wirklichkeit auch kein erfahrener Astronaut, sondern ein sechsjähriger Proband in einer neurowissenschaftlichen Studie zum Gedächtnis. Das Experiment ist auf junge Versuchspersonen wie ihn zugeschnitten und deshalb in eine Geschichte verpackt: Die Kinder sind Astronauten, der Magnetresonanztomograf (MRT), in dem Neo untersucht wird, ist ein Raumschiff und das Labor die Bodenstation. Ob man nun in der Grundlagenforschung etwa die Entwicklung des Gehirns untersuchen möchte oder in klinischen Studien die Wirkung von Behandlungen: In den Neurowissenschaften sind Kinder begehrte Probanden. Damit sie aufmerksam an den Experimenten teilnehmen, müssen die Versuche unterhaltsam gestaltet sein.

Bei Aufnahmen wie in Berlin im MRT müssen die Kinder zudem sorgfältig vorbereitet werden. Selbst kleine Bewegungen des Kopfes oder des Nackens können die Qualität der MRT-Bilder schmälern. Das ist auch der Grund, warum man in der Grundlagenforschung eher selten Aufnahmen von den Gehirnen von Babys und Kleinkindern macht. Daher greifen Forscher besonders bei diesen ganz jungen Probanden auf andere Methoden zurück. Bei der Elektroenzephalografie (EEG) mit Elektroden auf der Kopfhaut kann ein Kind bequem auf dem Schoß der Mutter sitzen und sich dabei beispielsweise visuelle Reize auf einem Computerbildschirm anschauen. Allerdings bietet die Methode nur eine schlechte räumliche Auflösung der Hirnaktivität und kratzt nur an der Oberfläche des Gehirns. Daher schicken Neurowissenschaftler mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) langwelliges Infrarotlicht durch den Schädel der Kinder, das in den verwendeten Intensitäten harmlos ist. Verglichen mit EEG erlaubt NIRS einen tieferen Blick ins Gehirn, auch wenn die Methode nicht in tiefere Regionen der Denkzentrale vordringen kann. Das bleibt dem MRT vorbehalten.

Doch manche Probanden empfinden es als belastend in der engen Röhre eingesperrt zu sein. Einige haben sogar Klaustrophobie oder bekommen eine Panikattacke. Anderen macht der Lärm – die lauten Klopfgeräusche des Scanners – zu schaffen. Um die Kinder psychologisch auf den Scanner vorzubereiten, nutzen die Berliner Forscher einen MRT-Simulator, der dem echten Gerät zum Verwechseln ähnlich sieht. „Und im Falle eines Falles gibt es auch noch den Notfallknopf“, sagt Attila Keresztes, kognitiver Neurowissenschaftler und einer der an der Studie beteiligten Forscher. „Die Kinder können diesen Knopf drücken, wenn sie sich unwohl fühlen, dann wird der Test angehalten.“

Gibt es negative Emotionen?

In der Fachliteratur ist es bislang umstritten, ob MRT-Aufnahmen für Kinder belastender sind als für Erwachsene. Aus diesem Grund haben Forscher um die Psychologin Charlotte Jaite von der Charité in Berlin gerade eine Studie durchgeführt. Die Wissenschaftler schauten sich an, ob und in welchem Umfang MRT-Untersuchungen negative Emotionen bei Kindern und Jugendlichen auslösen. Nach dem Arzneimittelgesetz, das unter anderem die Prüfung von Arzneimitteln regelt, dürfen Forschungen nicht mehr als „minimale Belastungen“ für die Minderjährigen darstellen. Das Team um Jaite verglich daher die Auswirkungen von MRT-Messungen mit denen von EEG-Untersuchungen. Schließlich gelten letztere derzeit als „minimale Belastung“. „Nach unseren bisherigen Beobachtungen im Rahmen der Datenerhebung scheinen Patienten im Kindes- und Jugendalter vor und während einer MRT-Untersuchung kein höheres Angstniveau aufzuweisen als Kinder und Jugendliche, die mittels EEG untersucht werden.“ Dies schrieben die Forscher 2013 in einer Zusammenfassung ihrer Studie. Weitere aktuelle Informationen wollten die Forscher auf Nachfrage nicht vor Erscheinen ihrer noch unveröffentlichten Studie geben.

Nachdem Neo zum Eingewöhnen im Simulator gelegen hat, ist nun der echte Scanner an der Reihe. Den Sechsjährigen umgibt nun ein starkes Magnetfeld. Im Gegensatz etwa zu einer Computertomographie entstehen bei der MRT keine ionisierenden Röntgenstrahlen. „Rein körperlich hat die MRT-Aufnahme keine schädliche Wirkung“, sagt Attila Keresztes. Die Erfahrungen von Forschern mit MRT in den letzten dreißig Jahre geben ihm recht. Und 2014 kamen Wissenschaftler um den Biostatistiker Mekibib Altaye von der University of Cincinnati College of Medicine in einer Studie zu dem Ergebnis: Jährliche MRT-Aufnahmen über einen Zeitraum von zehn Jahren hatten keine negativen Folgen für die geistige und körperliche Entwicklung von Kindern. Allerdings handelte es sich nur um eine kleine Studie mit wenigen Probanden.

Ethische Bedenken

So oder so bleiben ethische Bedenken bestehen. „Studien mit Minderjährigen stellen ein vertracktes moralisches Problem dar“, sagt der Philosoph und Ethiker Bert Heinrichs der Uni Bonn. „Bei klinischen Studien geht es in erster Linie um wissenschaftliche Erkenntnisse und höchstens in zweiter Linie um einen Nutzen für den Probanden.“ Das gelte erst recht für die Grundlagenforschung. „Bei Erwachsenen ist das in der Regel kein Problem, sie können ihre Einwilligung geben und sie wissen, worauf sie sich einlassen.“ Doch Kinder sind je nach Alter gar nicht oder nur bedingt einwilligungsfähig. „Auf der anderen Seite hätten wir ohne jegliche Forschung an Minderjährigen auch keine angepassten Medikamente für Kinder“, sagt Heinrichs.

Rechtlich gesehen gibt es ein Deutschland kein spezielles Gesetz, das die Forschung an Menschen regelt. Es existieren nur das Arzneimittelgesetz und das Medizinproduktegesetz. „Ansonsten haben wir allgemeine Gesetze wie das BGB“, erklärt Heinrichs. Dort steht, dass Eltern bei Entscheidungen, die das Kind betreffen, dem Wohl des Kindes verpflichtet sind. „Sowohl das Risiko als auch die Belastung der Untersuchungen dürfen daher meiner Ansicht nach nicht größer als minimal ausfallen.“ Doch laut Heinrichs bleibt das Problem, welche Untersuchungen diese Kriterien erfüllen.

Neo scheint das lange Ausharren in seinem Raumschiff jedenfalls wohlbehalten überstanden zu haben. Kurz nach Ende der Aufnahmen lacht er wieder vergnügt.