Im Koalitionsstreit über religiöse Kleidung vor Gericht zeichnet sich ein Kompromiss ab: Regeln sollen nur für hauptamtliche Richter gelten.

Stuttgart - Kopftücher und andere religiös besetzte Kleidungsstücke sind für hauptamtliche Richter und Staatsanwälte künftig tabu – nicht aber für alle anderen Beteiligten eines Gerichtsverfahrens: Dies sieht ein Kompromissvorschlag vor, mit dem die Grünen-Landtagsfraktion den Streit über einen Gesetzentwurf von Justizminister Guido Wolf ausräumen will. Der CDU-Politiker will eigentlich ein striktes Neutralitätsgebot für alle Personen durchsetzen, die in einer Sitzung richterliche, staatsanwaltliche oder protokollführende Aufgaben wahrnehmen. Doch wegen des Widerstands insbesondere von Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Grüne-Schwarz das Thema vertagt.

 

Am kommenden Dienstag soll es nun auf der alle zwei Wochen stattfindenden Routinesitzung des 14-köpfigen Koalitionsausschusses erneut aufgerufen werden. „Wir wollen gerne die Blockade auflösen, indem wir eine schlanke, praktikable Lösung vorschlagen“, sagte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz unserer Zeitung. Die Fraktion trage seinen Kompromissvorschlag geschlossen mit. Niemand habe widersprochen. Schwarz: „Auch der Ministerpräsident nicht.“ Der Plan sieht vor, hauptamtliche Richter und Staatsanwälte künftig auf ein absolutes Neutralitätsgebot bei der Kleidung zu verpflichten. „Die Schöffen hingegen sollen nicht einbezogen werden, denn in unseren Augen bilden diese die Bevölkerung in ihrer Breite ab“, sagte Schwarz. Schöffen seien ehrenamtliche Richterinnen und Richter und sollte ja gerade ihren Erfahrungshorizont als Bürger in die Urteilsfindung einbringen. Es geht dabei um alle deutlich sichtbaren religiösen Symbole, zum Beispiel auch die jüdische Kippa.

CDU signalisiert Einverständnis

CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart signalisierte am Donnerstag Zustimmung: „Ich begrüße es, dass sich der Koalitionspartner in der Sache jetzt doch beweglich zeigt.“ Daher sehe er eine „gute Chance, dass wir einen Kompromiss beim Verbot religiös besetzter Kleidungsstücke im Gerichtssaal vereinbaren und umsetzen können“. Er selbst habe diesen Kompromiss, bei einem Verbot die Schöffen, Rechtspfleger und Protokollanten auszuschließen, ja bereits in der vergangenen Sitzung des Koalitionsausschusses unterbreitet und dabei darauf verwiesen, dass es sich um einen breit vorhanden Wunsch der im Landesdienst stehenden Richter und Staatsanwälte handele, so Reinhart. Schwarz hingegen nimmt das Urheberrecht des Vorschlags für sich in Anspruch.

Justizminister Wolf sagte: „Das Entscheidende ist für mich, dass es in Baden-Württemberg keine Richter und Staatsanwälte mit religiösen Symbolen gibt.“ Baden-Württemberg werde dann das erste Land sein, das dies klar und eindeutig verbiete. Objektivität und Neutralität der Justiz seien ein hohes Gut, das es zu bewahren gelte. Wolf: „Wichtig ist, dass wir eine schnelle Regelung treffen. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften im Land fordern zurecht Rechtssicherheit.“

Die Kompromissidee war in den vergangenen Wochen bereits in Fachkreisen diskutiert worden. Dabei war stets das Gegenargument zu hören, dass es sich bei Schöffen um vollwertige und gleichberechtigte Richter handelt. Schwarz entgegnet dem, niemand werde zum Schöffenamt gezwungen. Und falls ein Verfahrensbeteiligter der Ansicht sei, dass ein Schöffe etwa wegen eines Kopftuchs befangen sei, könne er einen Befangenheitsantrag stellen. Auch Wolf sagte, für Ehrenamtliche müssten dann im Einzelfall Befangenheitsregelungen geprüft werden.

Auch Protokollanten ausgenommen

Auch Protokollanten, Rechtspfleger, Urkundsbeamten und andere Amtsträger bei Gericht, die an der Urteilsfindung nicht mitwirken, wollen die Grünen von der Neutralitätsvorschrift ausnehmen. Schwarz: „Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.“ Auch bei den neuen Regeln müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.

Die Landtags-Opposition hält den Kompromissvorschlag hingegen nicht für überzeugend. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einer „Scheinlösung“, die lediglich dazu diene, den brüchigen Koalitionsfrieden zu kitten, aber nicht durch Logik und Schlüssigkeit in der Sache überzeuge. Stoch: „Der Vorschlag der Grünen riecht nach krampfhafter Kompromisssehnsucht jenseits eigener, durchaus prinzipieller Überzeugungen.“ Grün-Schwarz fördere so den Politikverdruss.

Für die FDP ist der Vorschlag „rein politisch motiviert“. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke erklärte: „Das prinzipielle Verbot religiöser Kleidungsstücke vor Gericht hat nur dann einen Sinn, wenn es konsequent umgesetzt wird und für alle Personen, die bei Gericht tätig sind, verbindlichen Charakter besitzt.“ Die Grünen versuchten auf diesem dubiosen Weg, ihren Konflikt mit der CDU aus der Welt zu schaffen, und das ohne Interesse für Sachargumente.