Elektronische Popmusik kann so viel mehr sein als stumpfes Bum-Tschak. Das neue Album von Annagemina ist der Beweis: Das Stuttgarter Duo macht auf „New Darkness“ Zeitlupenmusik für eine in Dunkelheit und Eiseskälte erstarrte Welt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wie steht es eigentlich um die elektronische Popmusik? Blöde Frage, klar, elektronische Popmusik ist überall, zumindest in den Charts. Zwischen ihr und dem gefühlten Ende der Musikgeschichte stehen nur noch eine Handvoll Westküstenrapper. Wenn man allerdings etwas weniger blöd fragt, wie es nach Calvin Harris, Felix Jaehn und anderen musikalisch weitergehen soll, muss man schon tiefer graben. Oder gleich Annagemina hören.

 

Das Stuttgarter Duo macht Electro-Pop im unpoppigsten Sinne. Die keine Musik für die großen Festivalbühnen überlassen Anna Illenberger und Tokyo Tower den Vorgenannten. Ihr Pop ist vielmehr der klangliche Ausdruck einer „New Darkness“ (so der Name des Albums und des einzigen radiotauglichen Songs auf der Platte), die sich über die Welt gelegt hat. Was dieses Klangbild ausmacht: tiefe Bässe, Verfremdungseffekt über der Gesangsstimme, künstliche aufgetürmter Harmonie-Gesang.

„Come save my world as it is“, fleht die Sängerin Anna Illenberger in „My Heart Will Win“. Allein: der Song klingt in seiner Zeitlupenhaftigkeit, als wäre man längst in Dantes neuntem Höllenkreis angekommen, wo alles im Eis erstarrt ist. Wenn die Welt wirklich auf dem Weg dorthin ist, dann ist das der Soundtrack dafür.

Ob man im zweiten Part von der Hölle zur Erlösung gelangt? Dieser Teil der Platte findet in „Sacred Tune“ ganz kurz zu dem Vier-Viertel-Bassdrumbeat, wie ihn die kommerziell Großen der Branche benutzen. Allerdings sollten doch auch die mitbekommen haben, dass die Welt im Jahr 2017 zu kompliziert ist für einfache Musik?! Bis zum letzten Song „No Other Way“ verspricht auf diesem Album keine Ruhe im gleichförmig stampfenden Bum-Tschak. Stattdessen beeindruckt die bis zum Schluss trotz aller Experimentierfreude durchgehaltene Klangsprache, die zwischen nächtlicher Verirrung und der Kälte des ätzenden Türkisblau vom Albumcover ihr eisiges Zuhause hat.

Schön bei all den Klangfrickeleien ist die Verortung in der hiesigen Poplandschaft: Annagemina hauchen einem Roman-Wreden-Song neues „Leben“ ein, oder besser: lassen ihn als Zombiesong wiederauferstehen, mit stark verfremdeter Gesangstimme und atonalem Fiepen – „Drift“ klingt so ganz anders als auf dem kürzlich erschienenen Wreden-Album.

Nein, diese elektronische Popmusik ist nichts für Festivals und auch kein Easy Listening. Aber ein gut hörbarer Einstieg für Menschen, die auch mal Lust auf kompliziertere Musik haben. Wer mehr wissen will, sollte mal Arca googlen.