Das erstmals in Stuttgart ausgerichtete New Fall Festival war auch ein Festival der Frauen - die dänische Sängerin und Pianistin Agnes Obel hat das am Sonntag unterstrichen und mit einem starken Auftritt im Mozartsaal der Liederhalle das Publikum verzaubert.

Stuttgart - Ein Popkonzert am Sonntagnachmittag? Bei näherem Hinsehen eine gute Idee gegen den Blues, der gerade zu dieser Zeit viele Menschen befällt. Die Rechnung der Macher des New Fall Festivals jedenfalls geht auf: 750 Menschen finden sich am Sonntag um 16 Uhr im Mozartsaal ein, um der dänischen Musikerin Agnes Obel zu lauschen – ausverkauft!

 

Konfrontiert werden sie zunächst mit einer goldigen Britin namens Frances, die Klavierballaden voller Liebessehnsucht vorträgt. Sie singt oft höher als sie kann, bis zur Klasse einer Adele wird es Frances wohl nicht bringen. Als Songwriterin für andere kann sie trotzdem Karriere machen.

Agnes Obel hat die Stimme und den Tonumfang, komponiert als Pianistin aber selbst – und hat soeben das bemerkenswerte Album „Citizen of Glass“ vorgelegt, musikalisch sehr eigen und weit entfernt von angloamerikanischen Pop-Standards. Sie knüpft in den Stimmführungen immer wieder an eine europäische Folk-Tradition an, die viel älter ist, als das kolonisierte Amerika, und wirkt dabei doch absolut zeitgenössisch – ein Phänomen.

Die Klänge verweben sich zu kaum greifbaren Collagen

„Ich bin sehr aufgeregt, hier zu spielen“, sagt Obel, die sich von drei jungen Multiintrumentalistinnen aus Belgien und Kanada begleiten lässt, die Cello, Klarinette, Ukulele, Mellotron und Percussion beisteuern sowie himmlischen Satzgesang. In Obels Arrangements herrscht Klarheit: Mal fungiert ein gezupftes Cello als Bass, mal gibt das Mellotron vor, mal steht ein griffiges Piano-Arpeggio im Zentrum oder ein Bass-Riff aus dem digitalen Playback-Katalog, der den Musikerinnen Ohrhörer aufzwingt. Zugleich verweben sich die Klänge zu emotionalen Erzählungen, kaum greifbaren Collagen, in Musik gegossenen Traumbildern. Man ahnt: Das funktioniert nur gut geprobt mit hunderprozentigen Team-Spielerinnen.

Über allem schwebt Obels betörende Frauenstimme, die im Alt genauso stark ist wie im Falsett, sanft säuselnd wie in wohldosierter Schärfe, immer, wie es die Dramaturgie eines Stückes verlangt. Unheimlich anmutig, nein: unheimlich, anmutig kommt „Stretch Your Eyes“ daher, die Celli entwickeln im Duett gezupft und gestrichen einen Hauch von Soul. In „Stone“ verzückt ein Chor der Feenstimmen, „Fuel to Fire“ vom Album „Aventine“ (2013) erinnert daran, wie viel Charakter und wie wenig Kitsch melancholisches Schwelgen haben kann.

Ein Bekenntnis zu sonnigem Dur könnte die Wirkung steigern

Dunkle Ahnungen und skandinavische Kühle wehen oft mit in Agnes Obels Kompositionen, und wenn man an etwas bemängeln wollte, dann dies: Ein klares, noch so kurzes Bekenntnis zu sonnigem Dur inmitten der Moll-Dominanz könnte die Wirkung steigern. Die ist so schon beachtlich, auch Dank einer gut gesetzten Illumination. Muster tanzen über die Wände, Lichtfächer erblühen auf der Bühne, die Musikerinnen erstrahlen monochrom mal in blau, mal in rot.

Als Zugabe spielt Agnes Obel tatsächlich ihren kleinen Hit „Riverside“, einen konventionelleren Popsong, der 2010 in einer Folge der US-Fernsehserie „Grey’s Anatomy“ zu hören war – und der deutlich macht, welche Entwicklung sie seither genommen hat. Sie und ihre Musikerinnen bekommen tosenden Applaus, die überwiegend jüngeren Besucher johlen und pfeifen. „I like Stuttgart“, sagt Obel ein wenig verschämt – es besteht also die Chance, dass sie wiederkommt. Beim New Fall Festival, so haben die Organisatoren eingangs verkündet, ist das nach der erfolgreichen Erstauflage bereits sicher.


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