Reportage: Akiko Lachenmann (alm)


Es war ein eisiger Wintermorgen, als Neumark im Gottesdienst verkündete, man werde versuchsweise Gäste aufnehmen. Helfer schleppten Matratzen und Bettwäsche heran. Köche, Spülkräfte und Nachtwächter wurden eingeteilt. Im Nu waren zehn Plätze vergeben. Aus einer Woche wurden drei, aus drei Wochen ein Jahr. Die Runde, die heute am Esstisch sitzt, ist die vierte WG-Generation.

Das Geld ist wie immer ein Hauptproblem


Die Teller sind abgetragen, die Notebooks hervorgeholt. Sie sind der Fernsehersatz zum Feierabend. Claudio spielt Brant das Musikvideo des Poptransvestiten Miss Peppermint vor und stoppt bei besonders reizvollen Posen. Ninoska und Pablo schauen sich eine Folge der Serie "Sex and the City" an. Die anderen stehen herum und quatschen wie auf einer Party. Bis Kimberly Potter zum wöchentlichen Krisengespräch bittet. Gasthörer sind nicht erwünscht. "Da knallt es gehörig", sagt die Sozialarbeiterin. Harmonisch seien eben nur die ersten Wochen.

Beim Krisengipfel wird wieder gegen die Hausordnung gekämpft: Heimkehr bis 22 Uhr, Nachtruhe ab 23 Uhr, keine Besucher. Dann kommen die unangenehmen Fragen auf den Tisch: Wem gehört die schrottreife Bildschirmröhre im Aufbewahrungsraum? Wer geht jede Nacht mit schnalzenden Flip-Flops aufs Klo? Wer züchtet im Kühlschrank Lebendkulturen?

Auch über Geld wird gesprochen, das immer knapp ist. Die Dusche müsste saniert werden, ein Gefrierfach ist überfällig, ein weiteres Klo wäre wünschenswert. Anfangs griffen Gemeindemitglieder in ihre Taschen. Ein lesbisches Pärchen spendete als Startkapital 60.000 Euro. Mittlerweile muss Heidi Neumark des Öfteren die Trekkingsandalen gegen Stöckelschuhe austauschen und bei Fundraisingabenden um Unterstützung bitten.

Die Pfarrerin setzt darauf, dass das Gemeindeprojekt eines Tages von der bisherigen Arbeit profitieren kann. Ein junger Schwuler aus der ersten Generation, heute Verkaufsleiter in einem Kaufhaus, tritt nachts als Sängerin in einer Transvestitenbar auf. Nach einer Vorstellung, die er der Kirche gewidmet hatte, überreichte er Heidi Neumark 40.000 Dollar. Andere studieren in namhaften Colleges und dürften bald mit geregelten Einkünften rechnen. Für die Pfarrerin ein Hoffnungsschimmer: "Vielleicht kommt wieder etwas zurück."