In Stuttgart und Berlin ist Nezaket Ekici normalerweise tätig; derzeit ist die Villa Massimo das Zuhause der umtriebigen Performancekünstlerin. Die Zeit ihres Stipendiums dort und die Stimmung in der Welt kommentiert sie nicht nur mit täglich wechselnden Outfits.

Rom - Dunkle Strumpfhosen mit großen goldenen Punkten kleiden ihre Beine, das schlichte Kleid darüber fällt kaum auf. An einem anderen Tag sticht dafür der bunt gestreifte Pullover sofort ins Auge. Als Nezaket Ekici die Türe ihres Studios in der Villa Massimo in Rom öffnet, trägt sie eine schlichte blaue Bluse. Sie sitzt nicht richtig – aber das macht nichts. „Es ist schwerer, als man denkt“, sagt die Performance-Künstlerin über ihr aktuelles Projekt. Jeden Tag, den sie in der Villa Massimo verbringt, trägt sie andere, neue Klamotten. Nur die Schuhe sind immer die Gleichen. Jeden Tag wird vor der Terrakotta-farbenen Fassade ihres Hauses in der Villa ein Foto von ihr und ihrem Outfit gemacht. „Manche Sachen fühlen sich einfach nicht gut an“, sagt Ekici etwas genervt und bittet herein.

 

An der Wand hängen die Fotos. Ausgedruckt auf weißem DinA4-Papier reihen sich die Tage wie ein Kalender aneinander. Ist Ekici mal nicht in Rom, wird ein Blatt aufgehängt auf dem der Reise-Ort geschrieben steht. Das ist für die eigentliche Weltenbummlerin aber nicht oft der Fall. „Das dient quasi auch als Beweis für meine Anwesenheit“, sagt sie. „Während des Stipendiums in der Villa Massimo unterliegt man der Residenzpflicht.“

Seit September vergangenen Jahres zählt die Performance-Künstlerin, die ansonsten in Berlin und Stuttgart zu Hause ist, zu den zehn Stipendiaten der Villa. Die Künstler, Schriftsteller, Komponisten und Architekten wohnen in den zehn Monaten in den großzügigen Studios auf dem Gelände der Villa – inmitten eines grünen Parks. Sie werden von den Bundesländern und einer nationalen Jury ausgewählt. Der Aufenthalt soll ihnen „Inspiration und künstlerische Orientierung ohne finanzielle Engpässe ermöglichen“ – so steht es auf der Homepage.

Neun Projekte hat Ekici bereits in Rom realisiert

Ekici ist die erste, die das neue Studio mit der Nummer 1 beziehen durfte – die deutsche Akademie in Rom, wie die Villa Massimo offiziell heißt, hat ihre Gebäude und auch die Unterkünfte für die Gäste 2016 von Grund auf renoviert.

Inspiration scheint die 46-Jährige hier mit der Luft einzuatmen: Neun Projekte hat Ekici seit ihrer Ankunft im September bereits verwirklicht. Dennoch scheint sie getrieben, unruhig. „Mein innerer Drang, der ist wie ein Vulkan“, sagt sie. Sie wolle hier in Rom so viel machen, wie es nur geht. „Ich liebe dieses Studio, mein kleines Häuschen hier.“ Doch ganz frei fühle sie sich nicht. Einerseits empfinde sie die Villa wie eine paradiesische Insel im römischen Trubel. Andererseits ist es eben ein geschlossener Raum, eine Art goldener Käfig. „Und die Zeit rennt hier.“

Im Oktober, zum Tag der offenen Studios, hat sich Ekici der Kultur ihres Gastlandes gewidmet. Sieben Kilogramm rohe Spaghetti hat sie mit den Händen zerkleinert. Zwei Stunden lang. Mal durch Brechen, mal durch Drehen. Mal einzelne Nudeln, mal viele auf einmal. Auf dem schwarzen Teppich, den sie dafür in ihrem Studio ausgelegt hat – und der dort noch heute imposant den Raum teilt – ist so eine Straße entstanden, ein Bodenbelag wie aus Stroh. Ohne Handschuhe und barfuß, erzählt Ekici, sei die Performance durchaus schmerzhaft gewesen. Ein Foto zeigt sie, wie sie im schwarzen Kleid gekrümmt inmitten der strahlenden piksenden Bruchstücke liegt – ein Leiden wie es auch Caravaggio hätte auf Leinwand bannen können.

Ekicis Kunst kommentiert eine aus den Fugen geratene Welt

Und ein Bild der Verschmelzung zweier derer Kulturen, die das Leben der Künstlerin beeinflussen. Auf der einen Seite ist da die Pasta, das erste, was den meisten zu Italien, Ekicis aktuellem Wohnort, einfällt. Auf der anderen Seite ist da die Erinnerung an ihre Kindheit in ihrem Geburtsort Kirsehir in der Türkei: Wo sie als Mädchen zugesehen hat, wie die frischen Nudeln zum Trocknen auf der Terrasse ausgelegt wurden.

Fragilität ist der rote Faden, der die bisherigen Projekte Ekicis in der Villa zu verknüpfen scheint. „Die Welt ist zur Zeit aus den Fugen geraten“, sagt sie. Die Stimmung sei beängstigend. Der Frieden so zerbrechlich. Im November hat sie in Norwegen während einer Performance eine Schicht roter getrockneter Farbe von einer Plexiglas-Scheibe gekratzt. Darunter kam der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in englischer Sprache hervor. Er wurde durch das Schaben nicht beschädigt.

Fragil wirkt auch Ekici auf manchen der Fotos, die da an der Wand ihres Studios hängen. Fotografiert vor der immer selben Wand, stehend auf dem immer selben Kopfsteinpflaster. Plötzlich gleicht die Aneinanderreihung der Fotos nicht mehr einem Kalender, sondern mehr den Strichen, die ein Gefangener in die Wand seiner Zelle ritzt. Die Vielfalt ihrer Kleidung zeigt auch die Verrücktheit der Konsumgesellschaft außerhalb dieser schützenden Mauern. „Ich bin hier am ersten Tag durch die Stadt gelaufen und mir fielen sofort die vielen Stände auf, an denen unzählige Klamotten verkauft werden“, sagt Ekici.

Bis zu 30 Euro kostet sie jedes Outfit. Außerdem enormen Stauraum in ihrem Schrank und einige Nerven. Alles muss gewaschen werden, sie will die Sachen behalten, mehr daraus machen. Und dann gibt es noch schlichte praktische Überlegungen: „Das, was ich an einem Tag trage, darf ich nicht wechseln – wenn ein spontaner Abendtermin ansteht, muss ich dort so hingehen wie ich nun einmal aussehe.“ Fünf Monate hat sie so noch vor sich. Obwohl der Schrank in ihrem Gasthaus bereits aus allen Nähten platzt.