Nach fast 58 Jahren müssen Stefan Mappus und seine Partei eine herbe Niederlage einstecken. Den Neuanfang müssen andere organisieren.  

Stuttgart - Stefan Mappus nähert sich dem Wahlgeschehen im Landtag in Stufen. Erst ist er nur gesprächsweise da, als der große Unbekannte, von dem man nicht weiß, wie er auf die Niederlage reagiert. Dann steht er plötzlich in dem opulenten Studio, welches das ZDF in der Landtagslobby aufgebaut hat. Oben, in der CDU-Ecke im zweiten Stock, sieht man ihn nur auf dem Fernsehschirm. Schließlich trifft Mappus doch noch bei seinen eigenen Leuten ein. Wie eine große schwarze Wolke nähert er sich mit seinem Gefolge. Eine geschlagene Armee, die doch geordnet und in guter Haltung den Rückzug vollzieht.

 

Den späten Nachmittag hatte der Ministerpräsident im Staatsministerium verbracht. Die Stimmung ist so mies wie das Zahlenmaterial, das die Demoskopen direkt aus den Wahllokalen liefern. Es scheint so, als würde es nicht nur schlimm, sondern ganz schlimm kommen für die CDU. Zwischen 35 und 37 Prozent liegen die Werte. Die Wahl ist verloren, sagen die Wählerforscher, und damit ist die Grundstimmung vorgegeben, obwohl es dann zwischendurch noch sehr knapp wird.

Fukushima ist nur einer der Gründe

Langsam nähert sich die Stunde der Wahrheit: 18 Uhr. Dann läuft die Prognose über die Bildschirme. Im Landtag haben sich zwei CDU-Strategen zurückgezogen, um zu bedenken, was da kommen mag. Und wer jetzt gehen muss. Stefan Mappus zum Beispiel. "Wenn Mappus nicht geht", sagt der eine Stratege, "dann schlagen uns weiter die ,Mappus weg'-Rufe entgegen." Fukushima sei nur einer der Gründe gewesen, weshalb man nun wohl die Wahl verliere. Ein wichtiger zwar, aber eben nur einer. Es gebe weitere Gründe für die Niederlage. Mappus zum Beispiel. Die Vorbehalte gegen den Regierungschef, sagt der Stratege, reichen bis in seinen Kreisverband hinein.

Der zweite Stratege deutet die Lage anders. Mappus besitze die Durchsetzungskraft, die eine Partei in der Opposition benötige. Er könne die CDU sichtbar machen. Viel werde davon abhängen, ob - wie vorgesehen - am Dienstag bereits der Fraktionsvorsitzende gewählt werde. Wenn Mappus Oppositionschef werden wolle, müsse er den Amtsinhaber Peter Hauk von dieser Position verdrängen.

Schweigen der Niederlage

Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr. Oben in der CDU-Ecke herrscht tiefes Schweigen. Das Schweigen der Niederlage. Peter Hauk hat sich die Zahlen in seinem Büro angesehen und eilt jetzt als Erster vor die Fernsehkamera. Natürlich werde der Fraktionschef planmäßig am Dienstag gewählt, sagt der Fraktionschef. Sein parlamentarischer Geschäftsführer Helmut Rüeck sieht das genauso. "Wir brauchen stabile Verhältnisse", sagt er. Er gehe davon aus, dass die Fraktion Hauk "mit großer Einstimmigkeit wählt". Etwas säuerlich schiebt Rüeck noch hinterher, die Atomkatastrophe in Japan habe alles vermasselt. "Rot-Grün kommt im Schlafwagen von Fukushima direkt in die Villa Reitzenstein." Eine Zeit lang sieht es so aus, als werde sich an der Frage, wann die Fraktion ihren Vorsitzenden wählt, entscheiden, wie sich die CDU nach der Niederlage neu ausrichtet.

Allmählich trifft die Parteiprominenz im Landtag ein. In früheren Jahren saßen die CDU-Oberen um dies Zeit bereits an den Biertischen und gaben bereitwillig Auskunft. Aber diesmal ist alles anders. So wie es noch nie war in Baden-Württemberg. Im Landtag kursiert die Nachricht, Mappus habe eine persönliche Erklärung angekündigt. Staatsminister Helmut Rau sagt, er habe zum Wahlergebnis jetzt erst einmal gar nichts zu sagen. Aber dass die Bildungspolitik im Wahlkampf nicht die ihr gebührende Rolle einnehmen konnte, das wurme ihn doch. Andererseits: "Dass die CDU in Baden-Württemberg nicht über die Bildungspolitik stürzt, das habe ich immer gewusst." Ein CDU-Mann berichtet, Mappus sitze immer noch im Staatsministerium, habe aber inzwischen erkannt, dass er das Spiel verloren habe. Er werde abtreten, wolle aber Fraktionschef Hauk mit in den Abgrund reißen, um seiner politischen Weggefährtin Tanja Gönner den Weg zu ebnen.

Das klingt einleuchtend, denn die alten Gräben in der CDU sind immer noch offen. Mappus und Gönner stehen auf der einen Seite, Hauk auf der anderen. Er ist ein alter Oettinger-Gefährte. Das Problem an der Geschichte ist nur: Hauk lassen sich keine Fehler anlasten, schon gar keine, die so groß waren, dass sie etwas mit der Niederlage zu tun habe könnten. Das ist bei Tanja Gönner anders. Sie verbindet Stuttgart 21 ebenso mit Stefan Mappus wie die Laufzeitverlängerung für die Atommeiler.

Mappus dankt seiner Partei

Stefan Mappus hat sich inzwischen in den Fonds seines schwarzen, gepanzerten Dienst-Daimlers gesetzt und von der Villa Reitzenstein hinunter in den Landtag fahren lassen. Sein Weg führt ihn ins ZDF-Studio, wo er einen guten Eindruck hinterlässt. Mappus gratuliert den Grünen und den Roten zum Wahlsieg, um dann einzuräumen: "Ich trage die Verantwortung voll und ganz." Am Montagabend werde er sich nach den Sitzungen der Parteigremien öffentlich erklären.

"So sieht ein Rücktritt aus", murmelt einer oben in der CDU-Ecke, der auf dem Bildschirm beobachtet, was der Ministerpräsident, Parteivorsitzende und Spitzenkandidat sagt. "Vielleicht kommt's ja noch anders", flüstert die Frau neben ihn.

Ministerpräsident auf Abruf

Kommt es noch anders? Die Szenerie mutet einigermaßen gespenstisch an. Von Hochrechnung zu Hochrechnung, von Zwischenstand zu Zwischenstand kommt die CDU immer besser auf die Beine. Nur merkt es erst mal keiner. Zu schwer war wohl der Schock der ersten Zahlen am Nachmittag, zu klar der prozentuale Vorsprung von Grün-Rot. Aber das Wahlrecht im Südwesten hat seine Tücken, es bevorzugt die Partei, die die meisten Direktmandate erzielt, und das ist natürlich immer noch die CDU.

Dann rauscht Mappus mit seinem Gefolge auf die CDU-Ecke zu. Kameras, Sicherheitleute, Mitarbeiter bilden eine geschlossene Front schwarzer Anzüge. Auch Mappus' Frau Susanne ist dabei, auch sie trägt dunklen Stoff. Irgendwo im Hintergrund zischt eine Stimme: "Ohne den hätten wir doch haushoch gewinnen können." Stefan Mappus hört es nicht. Er macht jedoch nicht den Eindruck, als ob er das in diesem Moment völlig anders sehen würde. Rhythmisches Klatschen empfängt Mappus, der jetzt nur noch ein Ministerpräsident auf Abruf ist.

Mappus beweist Haltung

Die Hochrechnungen auf den Bildschirmen melden immer bessere Werte für die CDU, zwischenzeitlich wird nur noch eine Stimme Vorsprung für Grün-Rot gemeldet. Doch Mappus gesteht auch vor seinen eigenen Leuten die Niederlage ein. Und wieder beweist er gute Haltung. Er spricht von einem bitteren Tag für Baden-Württemberg, aber man müsse das Ergebnis annehmen. Mappus mag in diesem Moment an all das gedacht haben, was in den vergangenen Wochen schieflief. An die Atomkatastrophe von Fukushima vor allem anderen, natürlich auch an Rainer Brüderle, den Bundeswirtschaftsminister und Dampfplauderer von der FDP. "Es gab so ziemlich nichts, was nicht über uns hereingebrochen ist", stöhnt Mappus. Er dankt seiner Partei, und er dankt Angela Merkel. Und er sagt, die CDU habe alles richtig gemacht. "Unser Weg war alternativlos."

War er das? Wahrscheinlich muss man das sagen, wenn man vor einer Niederlage dieses historischen Ausmaßes steht. Irgendwann geht jede Epoche zu Ende. So ist das Leben. Aber der Ministerpräsident zu sein, der am kürzesten von allen seinen CDU-Vorgängern regierte, das ist bitter. Und bitter ist es auch für eine Partei, wenn sie nach fast 58 Jahren von der Macht lassen muss. Thomas Strobl, der Generalsekretär der Landes-CDU sagt, dass sich die Partei jetzt inhaltlich und personell neu aufstellen werde. Bedenkt man diesen Satz und das, was Mappus sagte, dann ist davon auszugehen, dass der Neuanfang ohne den gescheiterten Regierungschef vonstattengehen wird. Tanja Gönner, die bisherige Umwelt- und Verkehrsministerin wird dabei eine Rolle spielen wollen, Peter Hauk, der Fraktionschef sowieso, aber auch andere wie Nochfinanzminister Willi Stächele. Er telefonierte, wie CDU-Beobachter meldeten, ganz besonders eifrig.

Später am Abend verkündet die Landeswahlleiterin Christiane Friedrich das vorläufige amtliche Endergebnis. Nun wird es noch stiller in der CDU-Ecke im Landtag. Wo Mappus ist, weiß keiner.