Exklusiv Niedersachsen ist das Land mit der stärksten Massentierhaltung. Dennoch nimmt der grüne Agrarminister Meyer den Kampf mit den Agrarfabriken auf. Künftig sollen stichprobenartig verendete Ferkel aus Mastanlagen von den Landesämtern für Verbraucherschutz obduziert werden.

Stuttgart - Jedes zweite Masthähnchen Deutschlands und jedes dritte Schwein stammt aus Niedersachsen. Christian Meyer, Agrarminister in Hannover, sagt Tierquälern in seinen Agrarfabriken den Kampf an: mit einer Meldestelle und stärkeren Kontrollen.

 
Herr Minister Meyer, immer wieder gibt es Skandalbilder aus der Massentierhaltung, da werden Ferkel totgeprügelt oder verenden elend im Stall. Ist die Politik machtlos?
Es darf nicht sein, dass Tiere wie eine Ware behandelt werden. Der Staat muss mehr kontrollieren. Das versuchen wir in Niedersachsen. Wir müssen die Tierhaltung grundlegend ändern. Die Ställe müssen sich den Tieren anpassen, nicht umgekehrt. Wir müssen aufhören, die Schnäbel beim Geflügel zu verstümmeln oder die Schwänze von Schweinen abzuschneiden. Was die genannten Skandale betrifft: Wir haben letzte Woche in Oldenburg eine anonyme Melde- und Beratungsstelle eröffnet, an die sich Beschäftigte in Schlachthöfen oder der Lebensmittelverarbeitung wenden können, um Verstöße gegen das Tierwohl oder den Verbraucherschutz zu melden, mit Homepage und Telefonnummer.
Wieso werden Tiere neuerdings obduziert?
Es gab einen TV-Bericht, wonach in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen Ferkel auf brutale Weise getötet werden. Man hat sie an die Wand geworfen. Ich habe danach erstmals angeordnet, dass bei dem verdächtigen Betrieb drei Ferkel aus der Kadavergrube – wie diese Betriebe sie alle haben – entnommen werden. Sie sind an unser Landesamt für Verbraucherschutz geschickt und obduziert worden. Es bestätigte sich der Verdacht auf eine nicht tierschutzgerechte Tötung. Dies Ergebnis haben wir an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Ich habe jetzt die Tierschutzbehörden angewiesen, künftig stichprobenartig Kadaver zu entnehmen und obduzieren zu lassen. Anders kommen wir Übeltätern nicht auf die Spur. Wir können keine verdeckten Ermittler in die Betriebe schicken oder versteckte Kameras installieren. Nun haben wir eine Möglichkeit, die wenigen Schwarzen Schafe von guten Betrieben abzugrenzen.
Nach der Veröffentlichung von Jonathan Safran Foers Buch „Tiere essen“ schien unser Verhältnis zum Tier ein großes Thema zu werden. Warum ist das Interesse abgeflaut?
Das ist es nicht. Die Themen Tierhaltung und Tierschutz sind in der Breite der Gesellschaft angekommen. Das erkennt man daran, dass der Bundes-Agrarminister unseren grünen Wahlkampfslogan aus Niedersachsen – „Eine Frage der Haltung“ – für seine Tierwohlkampagne kopiert hat. Wir haben einen Bewusstseinswandel. Ein Beispiel: Ein niedersächsischer Familienunternehmer aus der fleischverarbeitenden Branche, genauer gesagt von der Firma „Rügenwalder Mühle“, hat kürzlich in einem Interview erklärt, dass das Fleisch bald die Zigarette der Zukunft sei und geächtet werde. Er wolle umsteigen auf ein Drittel vegetarische Produkte. Es ist selbst in der Fleischbranche angekommen, dass man nicht gegen die Tiere Geld verdienen kann, sondern nur mit mehr Tierschutz.
Der Bundesagrarminister setzt in seiner Tierwohl-Kampagne auf Freiwilligkeit. Funktioniert das?
Nein. Der Minister hat nur eine Kopie unseres Tierschutzplans in Niedersachsen geliefert. Er hat die Ziele übernommen, Tiere nicht mehr zu verstümmeln. Aber er hat vergessen, Umsetzung und Jahreszahlen festzulegen. Ich halte nichts von Freiwilligkeit. Wir müssen Gesetze machen. Es ist nicht in Ordnung, 25 Hühner pro Quadratmeter zu halten, männliche Küken wegzuwerfen oder Schweinen den Schwanz abzuschneiden, nur weil sie auf engem Raum so aggressiv werden, dass sie sich den sonst gegenseitig abbeißen würden. Schmidts jetzt geplantes Zulassungsverfahren für Ställe ist nur ein „Tierschutz-Tüv. Beim Verzicht auf Tierverstümmelungen setzt der Bund weiterhin auf Freiwilligkeit.
Welchen Spielraum haben die Länder?
Am besten sind EU-weite oder bundesweite Lösungen. Wir wollen unsere Tierhaltung nicht ins Ausland vertreiben, sondern hier verbessern. Wir appellieren an den Bund, wichtige Vorarbeiten der Länder zu übernehmen, denn die haben durchaus Möglichkeiten. Niedersachsen hat das Schnabelkürzen bei Legehennen ab Ende 2016 untersagt, für Enten ist es bereits in Kraft, bei Puten kommt es 2018. Wir haben uns dafür auch mit dem Handel geeinigt, dass bundesweit ab dem Zeitpunkt des niedersächsischen Verbots nur noch Frischeier in den Markt kommen, die von Tieren mit intakten Schnäbeln stammen. Das gilt dann in allen Supermärkten. Dieser Anstoß kam aus Hannover. Das wird für den Verbraucher bedeuten, dass ein Ei zwei bis drei Cents mehr kostet. Ein Problem ist, dass in Backwaren und anderen verarbeiteten Produkten oft billige Käfigeier aus dem Ausland stecken. Daher fordern wir als Grüne eine bessere Kennzeichnung dieser Waren.
Sie treten offen für die Abkehr von der Massentierhaltung ein, löst das nicht Widerstand bei Ihren Landwirten aus?
Es gibt in Niedersachsen den Konsens, den Tierschutzplan der CDU-Vorgängerregierung einzuhalten. Rot-Grün gibt jetzt eine zusätzliche Förderung für Landwirte dazu, zum Beispiel allein 22 Millionen Euro an Tierschutzprämien aus EU-Mitteln. Wir wollen Anreize setzen, aber die Tierhalter nicht vertreiben. Es gibt einen Bestandsschutz. Wir setzen auf die Kennzeichnung von tierschutzfreundlichen Produkten, den tiergerechten Umbau von Ställen, und wir zahlen Prämien etwa für Schweinehalter, die aufs Abschneiden der Ringelschwänze verzichten. In Niedersachsen gibt es demnächst 16 Euro pro heilem Ringelschwanz, das ist für die Betriebe ein attraktives Angebot. Ein unversehrter Schwanz ist ein wichtiger Indikator, dass es dem Tier gut geht. All das ist wettbewerbsneutral. Die frühere Agrarministerin Ilse Aigner wollte die Käfighaltung 2035 verbieten. Das hätte länger gedauert als der Atomausstieg, da wollen wir schneller sein.
Sind Betriebe abgewandert?
Das können wir nicht feststellen. Wir haben einen Boom bei Bioeiern, jedes dritte stammt mittlerweile aus Niedersachsen. Hier werden mehr Freilandhühnereier erzeugt als Eier aus konventionellen Käfigen. Wir haben erstmals wieder einen Anstieg bei den Umstellern auf ökologischen Landbau. Viele Betriebe wollen weg von der industriellen Massentierhaltung.
Was bringen Tierschutzlabel?
Sehr viel, ich begrüße den Antrag aus Baden-Württemberg, bei Fleisch zu einer Kennzeichnung nach Haltungsart zu kommen. Bei den Eiern funktioniert das auch. Man sollte aber nicht nur zwischen bio und konventionell unterscheiden, sondern auch im konventionellen Bereich differenzieren für Betriebe die mehr Platz bieten oder auf Verstümmelungen verzichten und andere. Ein staatliches Tierschutzsiegel wäre besser als der Flickenteppich, den wir haben, wo jede Handelskette und jeder Verband sein eigenes Siegel macht. Einige halten nicht, was darauf steht.
Sie predigen die sanfte Agrarwende – bedeutet das nicht eine Isolation in der EU?
Einige EU-Länder wie Dänemark, Österreich oder die Niederlande sind beim Tierschutz zum Teil weiter als wir. Bisher war es eher so, dass die Bundesregierung und unser Bauernverband bremsten.
Lindert ein starkes Agrarland wie Niedersachsen den Hunger in der Welt?
Entwicklungsexperten sagen, dass unsere Schweine und Hühner das Brot der Armen fressen. Der hohe Fleischkonsum in Europa ist nur möglich, weil auf Flächen im armen Süden nicht Lebensmittel, sondern Futter angebaut wird. Wir lagern unsere Flächen aus und haben massive Importe von genmanipuliertem Soja aus Südamerika. Was wir Veredelung nennen, geht einher mit einem Flächenverbrauch für die Lebensmittelerzeugung anderswo. Die Mehrheit der weltweiten Getreideernte wird heute von Schweinen, Hühnern und Rindern gefressen. Würden alle soviel Fleisch essen wie wir, bräuchten wir drei Planeten für die Futterflächen.